Kein Boden unter den Füßen

März 26, 2025
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Das Große Feuer von Beat Furrer (Foto: Oper Zürich, Prammer)

Uraufführung in Zürich: Beat Furrers neue Oper »Das große Feuer« ist ein Ritt von der Stille in die Stille – mäandert aber zuweilen ziellos dahin.

English summary: Beat Furrer’s new opera Das große Feuer, premiered in Zurich, explores alienation through a fragmented, microtonal soundscape. Based on Eisejuaz by Sara Gallardo, it follows an indigenous shaman’s son torn between faiths. Though musically striking, the staging remains abstract, and the narrative feels unclear. Strong vocal performances and Philharmonia Zürich’s precise execution elevate the experience, but the opera’s ambiguity and complex structure risk losing its dramatic tension.

Ein Ton wie ein Tinnitus: hoch, leise, durchgehend. Im dritten Takt nimmt das Akkordeon eine Sekundreibung hinzu, was den Klang, verbunden mit den nervösen Tonwiederholungen der Violinen, noch verstörender macht. Dazu tiefe, abstürzende Figuren in den Bassinstrumenten. Wie ein Gurgeln klingt das, wie ein mattes Seufzen. »Regen, Holz, Indios…In diesem Drecksloch«, flucht Andrew Moore als Paqui. Auch der Chor – das extra für die Produktion engagierte zwölfköpfige Ensemble Cantando Admont – verstärkt mit seinen isolierten, übereinander geschichteten Silben das Gefühl der Unbehaustheit. Die Mikrotonalität, die diese Formation den knapp zweistündigen Abend über präzise umsetzt, entfaltet einen fremden, faszinierenden Klangraum.   

Beat Furrers neue Oper Das große Feuer (Libretto: Thomas Stangl), die bei der Uraufführung am Opernhaus Zürich stark bejubelt wurde, meidet von Beginn an jedes Gefühl der Vertrautheit. Die Figuren werden musikalisch nicht getragen, haben keinen Boden unter den Füssen. Furrers musikalische Sprache ist feingliedrig, vielstimmig und kurzatmig. Ein Stammeln wie nach einem Schock, ein Ringen nach Worten. Der Komponist kommt ganz ohne Elektronik aus, obwohl seine originellen Klangmixturen manchmal danach klingen.

Der zerrissene Schamanensohn

In seiner neunten Oper und seiner ersten Choroper hat sich der in der Schweiz geborene, österreichische Komponist dem 1979 erschienenen Roman Eisejuaz der argentinischen Schriftstellerin Sara Gallardo zugewendet, auf den er durch einen Kompositionsschüler gestoßen war. Im Mittelpunkt steht der indigene Schamanensohn Eisejuaz, der hin- und hergerissen ist zwischen Naturglauben und christlicher Erziehung. Er selbst arbeitet in einem Sägewerk – und ist so mitverantwortlich für die Zerstörung des Waldes, dessen Bäume wie auch die Tiergeister er singen hören kann.

Das Große Feuer von Beat Furrer (Foto: Oper Zürich, Prammer)

Sein Kümmern um den rassistischen Kleinkriminellen Paqui ist christlich bedingt. Eisejuaz trauert um seine verstorbene Frau Lucia, wird von deren Schwester Mauricia, seiner heimlichen Geliebten, bedrängt, wieder zurückzukehren ins Indiodorf. In den lose aufeinanderfolgenden Szenen streitet er sich mit dem Missionar, trifft auf eine Seherin, lässt sich von Paqui herumkommandieren und schließlich verraten. Sein Weg führt steil bergab – er wird vom Heilsbringer zum Verfolgten. Nur eine Indiofrau (Muchacha), die er heilt, spendet ihm am Ende einen Hauch von Trost, ehe sie ihn gemeinsam mit Paqui aus Versehen vergiftet. 

Verunklarte Regie, großartige Akteure

Die mäandernde, auch in Rückblicken und inneren Monologen vermittelte Geschichte erzählt sich allerdings in der Oper nicht, sondern nur im Programmheft. Der häufige Wechsel zwischen Spanisch und Deutsch, die experimentelle Behandlung der Sprache, die Vervielfältigung mancher Figuren sorgen für Verunklarung. Ohne Übertitel, die auch die Handlung skizzieren, wäre man verloren. Auch Tatjana Gürbacas Inszenierung (Co-Regie: Vivien Hohnholz) im Einheitsbühnenraum von Henrik Ahr macht wenig konkreter. Stehende und hängende Pfähle mögen an gerodeten Urwald, an Vernichtung von Leben denken lassen. Eine schräge Scheibe, die sich immer wieder in Bewegung setzt, als Spielfläche, ein Radfahrer, der von der Decke hängt und in Zeitlupe nicht vom Fleck kommt – das ist zu wenig an szenischen Ideen, um den komplexen Stoff zu visualisieren und den Abend zu verdichten. 

Es sind die Akteure, die durch ihre darstellerische Präsenz und musikalische Exzellenz theatralische Momente schaffen. Sämtliche Nebenrollen und die große Partie der Mauricia – Elina Viluma-Helling singt sie mit schlankem, schlackenlosem Sopran – werden durch Mitglieder von Cantando Admont besetzt. Friederike Kühl und Patricia Auchterlonie lassen Lucias Linien schweben, Helena Sorokina und Cornelia Sonnleithner schenken der alten Chahuanca dunkle Farben, Hugo Paulsson Stove gibt einen strengen, hell timbrierten Missionar. Die französische, auf Neue Musik spezialisierte Sopranistin Sarah Aristidou verleiht mit ihrem mitunter ganz vibratolosen, reinen Stimmklang der Muchacha enorme Ausstrahlung. Ob brüllend oder wimmernd, schmierig oder rauh – mit seinem markanten Bassbariton macht Andrew Moore aus Paqui einen echten Kotzbrocken, der sich am Ende in einer skurrilen Szene vor dem glitzerbehängten Volk (Kostüme: Silke Willrett) selbst zum Wunderheiler stilisiert.

Das Große Feuer von Beat Furrer (Foto: Oper Zürich, Prammer)

Da ist Eisejuaz auf seiner Leidensgeschichte endgültig gebrochen. Leigh Melrose lässt die Zerrissenheit dieses Protagonisten spüren. Dieser Eisejuaz ist ein Getriebener, der Haken schlägt und auf seinem verschlungenen Weg immer mehr ins Dickicht gerät. Aber auch dem erleuchteten, Geisterstimmen hörenden Eisejuaz gibt Melrose Raum. 

Die Philharmonia Zürich setzt unter der Leitung des Komponisten die fordernde Partitur plastisch um. Es flüstert und wimmert im Orchestergraben. Die Kleinstpartikel sind modelliert. Und auch die wenigen, massiven Ausbrüche, die kalten Blechschichtungen haben eine klare Formung. Nur die Holzbläser wirken manchmal in dem filigranen Stimmengeflecht zu grob. Und die Balance ist nicht immer optimal. Beat Furrers Das große Feuer enthält unerhörte Klänge. Die permanente Mehrdeutigkeit und Vielstimmigkeit überfordert aber auch dieses neue Musiktheater, dessen Spannung in den vielen Pausen, Brechungen und Mikrostrukturen immer wieder verlorengeht. Am Ende kehren die hohen Frequenzen im Akkordeon zurück. Und die Oper endet so leise, wie sie begonnen hat. 

Weitere Vorstellungen: 25./28./30. März, 4./6./11. April 2025, www.opernhaus.ch 

Georg Rudiger

Georg Rudiger hat Musikwissenschaft, Geschichte und Germanistik in Freiburg und Wien studiert. Er beobachtet von Freiburg aus das Musikleben im Südwesten Deutschlands, der Schweiz und dem Elsass - als fester Freier für die Badische Zeitung, überregional u.a. für die Neue Zürcher Zeitung, neue musikzeitung und Der Tagesspiegel. Er ist bei wichtigen Musikfestivals und Opernpremieren (Jurymitglied der Opernwelt), gelegentlich auch Rock- und Jazzkonzerten.

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