Die Pianistin und Autorin Shoko Kuroe hat bei den Donaueschinger Musiktagen an einer Debatte über Machtmissbrauch im Musikbetrieb teilgenommen. Hier erklärt sie, was Opfer von einer ersten Anlaufstelle in den Institutionen erwarten.
Das Museum.Art.Plus in Donaueschingen liegt idyllisch am Fluss Brigach am Rande des Schlossparks. Es ist ein Museum für zeitgenössische Kunst – umgeben von der Natur. Der Ort strahlt Ruhe und Offenheit aus und erwies sich als ideal für die Podiumsdiskussion über »Machtstrukturen im Musikbetrieb«, die im Rahmen der Donaueschinger Musiktage stattfand.
Als ich vor einem Monat zur Teilnahme eingeladen wurde, mischten sich in mir zunächst Freude, Furcht und Respekt. Und dann war ich beeindruckt und berührt. Die Moderatorin (Martina Seeber, SWR) und der Moderator (Johann Jahn, BR) waren kundig und achtsam. Die Podiumsgäste Lydia Grün, Gregor Hotz, Marle Krafeld und Anke Mai diskutieren ruhig und differenziert. Das Publikum war interessiert und wohlwollend. Der Saal war voll; die Podiumsdiskussion wurde zusätzlich in den Treppenraum gestreamt und im Rundfunk live übertragen.
Machtmissbrauch ist kein Tabu mehr
Das Thema ist auch heute noch heikel. An diesem Abend wurde jedoch deutlich, dass sexueller und sonstiger Machtmissbrauch im Musikbetrieb kein Tabuthema mehr ist. Machtmissbrauch ist auch kein Kampfthema mehr, bei dem der Diskurs sich nur darum dreht, ob das Problem überhaupt existiert.
Zugegebenermaßen war es für mich eine Herausforderung, zwischen eigener Betroffenheit und allgemeinem Diskurs zu navigieren. Aber gerade deshalb war diese Veranstaltung wertvoll, weil sie es ermöglichte, auch eine Betroffenenperspektive in den Diskurs einzubringen. Thematisiert wurden unter anderem die Bereiche Orchester, Musikhochschule und die freie Szene.
Als eine Teilnehmerin des Podiums verspürte ich auch eine Verantwortung gegenüber den Betroffenen von François-Xavier Roth, Betroffenen von noch nicht öffentlich bekannten Täter-Künstlern sowie gegenüber jenen im Publikum, die im außermusikalischen Kontext Missbrauch erfahren haben. Eine solche Veranstaltung wirkt nach. So entstand nach der Veranstaltung ein reger Austausch mit dem Publikum.
Wie ermutigen wir Betroffene zu sprechen?
Dabei wurde unter anderem die Frage angesprochen, wie Betroffene ermutigt werden könnten, sich an die Leitungen oder Anlaufstellen zu wenden. In den letzten Jahren haben viele Kultureinrichtungen Schutzkonzepte entwickelt und Anlaufstellen eingerichtet. Oft wundern sie sich dann, warum die Betroffenen trotzdem nicht zu ihnen kommen. Manchmal wird dies sogar als ein Beleg gewertet, dass in der Institution alles in Ordnung sei.
Derzeit befinden sich viele Kulturinstitutionen diesbezüglich in einer Übergangsphase: Während es noch vor ein paar Jahren zum guten Ruf einer Einrichtung gehörte, dass es angeblich keine Vorfälle gab, gilt es heute als ein Qualitätsmerkmal, dass solche Vorfälle ernst genommen werden.
Opfer, die jedoch noch vor Kurzem die Erfahrung gemacht haben, nicht gehört zu werden – oder gar als Störenfriede und Nestbeschmutzer diskreditiert wurden –, fragen sich nun, ob die neue Ermunterung ernst gemeint ist oder nur der Ehrenrettung der Institution dient. Wenn sie sich nicht melden, dann auch weil sie der Leitung nicht zutrauen, mit einem Vorwurf adäquat umzugehen. Dieses Vertrauen muss eine Institution erstmal verdienen.
Wichtige Kriterien für Anlaufstellen
Deshalb ist es essentiell, dass die Leitungen schon im Alltag Haltung zeigen und sich so auszudrücken, dass ihre Botschaft bei den Betroffenen tatsächlich als Ermutigung ankommt. Vor allem brauchen die Betroffenen vorab relevante Informationen.
Die Ansprechpersonen für den Erstkontakt müssen klar ersichtlich sein – Name, Position, Telefonnummer, E-Mail-Adresse und Sprechzeiten. In diesem Erstkontakt möchten Betroffene für sich herausfinden:
- Wirkt diese Ansprechperson auf mich vertrauenswürdig, zuverlässig und kompetent?
- Kann ich mich auf sie verlassen?
- Falls sie Bedenken haben, sollten sie die Möglichkeit haben, sich zurückzuziehen, ohne dass ihr Name oder das Anliegen protokolliert wird.
Für Betroffene ist es außerdem hilfreich, schon im Voraus zu wissen, was auf sie zukommt, wenn sie sich an eine Anlaufstelle wenden, zum Beispiel:
- Welche Details muss ich erzählen?
- Erfährt der Täter davon?
- Wer in der Institution erfährt davon?
- Wer außerhalb der Institution erfährt davon?
- Wie wird das Gespräch protokolliert?
- Wird die Polizei eingeschaltet?
- Ist mein Studium oder ist meine Stelle gefährdet?
- Kommen Kosten auf mich zu?
- Schützt mich die Institution?
- Auf welcher Seite steht die Hochschule (Fürsorgepflicht geht in beide Richtungen.)?
- Was kann die Institution überhaupt unternehmen?
- Was wird die Institution tun?
- Lohnt sich der Aufwand für mich?
- Wird etwas passieren, das ich hinterher bereue?
Jede und jeder Betroffene hat zudem individuelle Bedürfnisse, wenn sie oder er nach einer passenden Anlaufstelle sucht:
- Ich möchte nur darüber mit jemandem sprechen, ohne dass die Sache weiterverfolgt oder weitererzählt wird.
- Ich möchte mich zunächst nur über Möglichkeiten und Lösungen informieren.
- Ich möchte nichts unternehmen, aber der Name des Täters soll vermerkt und der Vorfall dokumentiert werden.
- Ich möchte mit dem Täter oder Konfliktpartner unter Begleitung reden.
- Ich möchte, dass jemand aus der Leitung mit dem Täter/Konfliktpartner redet und ihm klar macht, dass sein Verhalten nicht in Ordnung ist.
- Ich möchte eine Lösung für meine Zukunft, ohne dass der Täter davon erfährt, dass ich über die Tat gesprochen habe (zum Beispiel Klassenwechsel oder Hochschulwechsel an einer Hochschule oder Freistellung in einem Orchester).
- Ich möchte, dass der Täter sanktioniert wird.
- Ich möchte eine Entschädigung oder Versicherungsleistung.
- Ich möchte, dass der Täter strafrechtlich verfolgt wird.
Wünschenswert wäre außerdem, dass die Anlaufstellen auch von internen und externen Zeugen genutzt werden können.
Es ist klar, dass eine Institution nicht immer allen Opfern gerecht werden kann. In solchen Fällen – oder wenn sie schlicht überfordert ist – sollte sie dies den Betroffenen frühzeitig und ehrlich kommunizieren. Das ist wichtig, um sekundäre Viktimisierungen zu vermeiden.
Das Motto der diesjährigen Donaueschinger Musiktage lautete: »Voices Unbound«. Das Festival bot einen fruchtbaren Boden für die Entfaltung der vielfältigen Stimmen der Komponistinnen und Komponisten sowie der Musikerinnen und Musiker der Neuen Musik. Ebenso brauchen die Stimmen der Betroffenen einen guten Rahmen, in dem sie gehört werden können.

