einmal saßen wir im Borchardt, da haben Sie das Älterwerden wie einen Störenfried angeblafft: Alles wird langsamer, beschwerlicher – und die Welt schaut zu dabei. Das Alter ist ein Arschloch!
Nun habe ich Sie gesehen: Mit Beethoven. Mit Ihrem alten Orchester in Paris. Ja, Sie sahen alt aus, 82, durchsichtig wie japanisches Papier – Sie haben langsam dirigiert, sehr langsam. Aber alle folgten Ihnen, keiner hat Sie überholt.
Sie haben die Musikwelt als Wunderkind in kurzen Hosen betreten. Und Sie sind ein Kind geblieben. Ein Rappelkopf, der mehr Geld für seine Orchester ertrotzte. Der die richtige Phrase der Flötistin ertrotzte. Sie wollten sogar Frieden in Nahost ertrotzen als wäre es ein Spielzeugauto von Mattel. Ihre Wünsche waren Befehle: »Mach mal! Tu mal! Jetzt und sofort!« Alles, was Sie erreicht haben, haben Sie auch erreicht, weil Sie immer dieses Kind geblieben sind.
Früher, als wir uns öfter trafen, lernte ich einen Ausdruck von Ihnen: »Wissende Naivität«. Damit meinten Sie eigentlich das Musikmachen. Alles über Bach zu wissen, und ihn am Abend so zu spielen, als wäre es das erste Mal im Leben.
1989 haben Sie Paris verlassen. Im Streit. Sie sind in das gerade vereinte Berlin gekommen – als Jude. Wissend und naiv. So haben Sie Ihre Kapelle zum Weltorchester getrotzt, manchmal ohne Rücksicht auf Anstand.
Einige sagen, Sie sollen endlich aufhören. Aber wenn Sie heute dirigieren, schließen Sie Frieden – mit Paris, mit der Welt, und vielleicht ja auch zwischen dem Kind in Ihnen und dem Älterwerden. Wir sehen Sie, den wissenden Greis und sein Kind, wenn Ihre Augen vor einem Auftakt von Beethoven funkeln und die große Welt ganz klein wird, ganz Mensch – und Sie sind schön dabei.
