
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit ersten Eindrücken aus den Festspielstädten Bayreuth und Salzburg, mit dem Neudenken des Stadttheaters und einem großen Durchatmen vor der Sommerpause!
Die Neuerfindung des Stadttheaters
In einem längeren Gespräch mit Valentin Schwarz, dem Regisseur und designierten Mitglied des Intendanz-Teams am Theater Weimar, habe ich über die Zukunft der Stadttheater nachgedacht. »Wir haben uns zu dritt beworben und bewusst gesagt, dass wir keine Generalintendanz wollen«, erklärt Schwarz. Das neue »Weimarer Konzept« soll eine offene Feedback- und Fehlerkultur fördern und sei ein Versuch, das Stadttheater neu zu denken und die Anfälligkeiten des alten patriarchalischen Stadttheatersystems zu überwinden. Außerdem macht Schwarz klar, dass angesichts der politischen Lage in Thüringen, wo Björn Höckes AfD erfolgreich ist und eine populistische Stimmung schürt, Haltung wichtig sei: »Als Theater sind wir nicht dafür da, eine herrschende Stimmung nur zu reproduzieren, sondern wir müssen eine Position einnehmen. Wir müssen sagen: Wir stehen für eine offene, freiheitlich demokratische Ordnung und Grundverfassung.« Das ganze Gespräch hier.

Weitere Einsparungen in Berlin
Ist es Chuzpe? Ist es Naivität? Ist es die Sucht nach Glamour und die Sehnsucht nach Nähe zu Friedrich Merz, die Berlins Ex-Senator Joe Chialo zur Festspielpremiere nach Bayreuth gezogen haben? Man kann zumindest vermuten, dass es nicht seine Begeisterung für das Genre Oper war. In Berlin badet seine Nachfolgerin Sarah Wedl-Wilson derweil den Mist aus, den er verzapft hat. Doch im kommenden Doppelhaushalt sind weitere Einsparungen in der Kultur um rund 110 Millionen Euro gegenüber 2025 geplant. Schließungen von Theatern sollen laut der Kultursenatorin ausgeschlossen sein. Die Sanierung der Komischen Oper wird weitergeführt. Besonders schützenswerte Einrichtungen wie Kinder- und Jugendtheater sind mit Einsparungen von lediglich 1,5 Prozent weniger stark betroffen.
Salzburg und Bayreuth

Festspielzeit! Wahnsinns-Zeit! Friedrich Merz schwärmt beim Bayreuther Staatsempfang von den Meistersingern und lädt sich bereits fürs kommende Jahr ein, Kulturstaatssekretär Wolfram Weimer sagt mir im Bayreuther Kino-Pausenprogramm, dass die Festspiele »die coolsten und besten in ganz Europa« seien. In Salzburg flaniert Markus Hinterhäuser mit Fluppe in der Hand an der Polizeiabsperrung Richtung roter Teppich vorbei, und eine Protestgruppe kapert die Eröffnung, um auf die Situation in Gaza aufmerksam zu machen. Klar, dass Michael Barenboim die Aktion sofort gepostet hat und auch als »Colab-Partner« bei Facebook in Aktion trat (wie wird das sein, wenn sein West-Eastern Divan Orchestra hier als Friedensorchester auftreten soll?). Ach ja: Und die Kunst? Bei BackstageClassical gibt es natürlich ausführliche Kritiken zu Bayreuths bunten Meistersingern und Salzburgs grauem Cesare. Erstaunlich, wie ähnlich beide Inszenierungen in ihrer Halbwertszeit erscheinen, obwohl die eine bewusst unpolitisch, die andere bewusst politisch sein will. Und noch etwas eint beide Aufführungen: Sie stehen jeweils im Schatten einer konkurrierenden Barrie Kosky Inszenierung. Aber lesen Sie doch selbst.

Trumps Kultur-Kettensäge
Es ist verrückt: Auf der einen Seite soll ein Saal im Kennedy Center nach Melania Trump benannt werden, auf der anderen lichtet Trumps Corporation for Public Broadcasting (CPB) gerade die Klassik im US-Radio. Viele gemeinnützige Klassiksender – darunter Classical KING in Seattle und All Classical Radio in Portland – verlieren durch den Wegfall der Zentralförderung etwa zehn Prozent ihres Budgets und stehen vor erheblichen Mehrkosten für Musiklizenzen. Besonders in ländlichen Regionen und kleineren Städten droht das klassische Musikprogramm massiv eingeschränkt oder ganz eingestellt zu werden, da kommerzielle Alternativen fehlen.
Mach mal Pause – in eigener Sache
Dieser Newsletter und BackstageClassical gehen in die Sommerpause. Bis Ende August werden wir nur sporadisch Texte auf der Seite veröffentlichen, ab 1. September geht es dann wie gewohnt weiter mit Newsletter, Podcasts und täglichen News aus der Klassik-Welt. Damit sie nichts verpassen, können Sie unseren wöchentlichen Newsletter hier und unsere Podcasts hier für apple Podcast oder hier für Spotify abonnieren. Das BackstageClassical-Team freut sich, dass wir unsere Leserzahlen auch im letzten halben Jahr massiv steigern konnten. Unsere Nachrichten, Essays, Reportagen, investigativen Stücke und Podcasts werden wir auch kommende Saison wieder kostenlos anbieten. Uns würde es freuen, wenn Sie unsere Arbeit unterstützen. Sie können das mit einer einmaligen oder regelmäßigen Spende tun – alle Einnahmen fließen direkt in unsere Texte. Unser unabhängiger Journalismus ist nur durch Sie möglich! Dafür ein herzliches Dankeschön.

»Missbrauch der Kultur«
Sehr klare Worte findet die Dirigentin Oksana Lyniv im BackstageClassical-Interview mit Antonia Munding. Valery Gergievs inzwischen abgesagtes Konzert in Italien (siehe unten) wäre ein »Missbrauch der Kultur« im Sinne der politischen Propaganda gewesen, sagt Lyniv. Sie berichtet im Gespräch auch über die aktuelle Situation ukrainischer Künstlerinnen und Künstler: »In der Ukraine ist die Nachfrage nach kulturellen Veranstaltungen so groß wie nie zuvor. Wenn man zu einem Konzert geht, bedeutet das: man lebt noch. Es ist ein Stück Normalität, ein Moment aus der Vergangenheit vor dem Krieg – und eine Hoffnung auf die Zeit nach dem Krieg. Die Menschen halten sich daran fest, um das Leben zu feiern, und nicht in Depression und Pessimismus zu versinken.« Das ganze Gespräch kann ich Ihnen nur empfehlen.
Personalien der Woche
Finalmente! Das Konzert in Italien, bei dem Valery Gergiev auftreten sollte, wurde abgesagt (zuvor hatten bereits viele deutsche EU-Abgeordnete protestiert). Der Grund allerdings ist absurd: Angeblich konnte die Sicherheit vor Ort nicht gewährleistet werden, da zu viele pro-ukrainische Proteste erwartet wurden. Ein klassischer Fall von Schuldumkehr. Erstaunlich auch, wie viele deutsche Zeitungen nun große Anti-Gergiev Texte verfasst haben, die es vor dem 22. Februar 2022 noch vollkommen okay fanden, dass ein Putin-Freund und »die Krim ist russisch«-Mann ein staatlich finanziertes deutsches Orchester leitete. +++ Die Wiener Symphoniker mussten die Stelle des Intendanten neu ausschreiben: Es ist davon auszugehen, dass der amtierende Intendant Jan Nast, der das Orchester durch neue Formate und die Verpflichtung von Petr Popelka vorangebracht hat, den Job auch weitermacht.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo bleibt es denn? Vielleicht ja hier! Die vergangene Klassik-Saison war eine große Freude, bei BackstageClassical haben wir über wichtige Themen debattiert: Die Neuausrichtung von Theatern, den Umgang mit Sparmaßnahmen, die Frage der Sanierung von Immobilien – vor allen Dingen aber: Die ästhetischen Wege der Kunst. Auch die neue Saison wird spannend werden! Guido Krawinkel hat einmal einen ganz individuellen Blick auf seine Spielplan-Favoriten geworfen und staunt besonders über die Vielfalt und den Mut an kleineren Häusern. Für mich wird die kommende Saison ebenfalls eine Bühnen-Saison werden. Ich werde in Neustrelitz zum ersten Mal erleben, wie es sich anfühlt, als Regisseur eine Oper zu stemmen, wenn wir hier Mozarts Entführung aus dem Serail (ich liebe dieses Stück!) in Szene setzen, und im Sommer werde ich an meiner neuen Erzählung von Peter und der Wolf für das Philharmonische Staatsorchester Hamburg schreiben und die Handlung nach St. Pauli in die Zeit von Mucki Pinzner verlegen. Ich freue mich auf die Abenteuer der kommenden Saison, aufs Durchatmen – und darauf, dass wir um am 1. September an dieser Stelle wiederlesen!
In diesem Sinne – halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann

