Die neue Studie »MiKADO-Musik« warnt vor einer ernsthaften Krise an Musikschulen in Deutschland und Österreich. Fachleute sprechen von einem drohenden »Kollaps« der musikalischen Bildung, wenn Politik und Träger nicht rasch und koordiniert gegensteuern.
English summary: The MiKADO study warns of a looming collapse of music schools in Germany and Austria. By 2035, 14,700 teachers will retire but only 4,000 graduates replace them, leaving most posts vacant and denying 500,000 children access to music education.
Nach Berechnungen der neuen Studie werden bis 2035 rund 14.700 Lehrkräfte an öffentlichen Musikschulen in den Ruhestand gehen, während nach heutigem Stand lediglich etwa 4.000 Absolventinnen und Absolventen musikpädagogischer Studiengänge nachrücken. Damit könnten in etwa zehn Jahren rund drei Viertel der frei werdenden Stellen unbesetzt bleiben, was bedeutet, dass mindestens 500.000 Kinder und Jugendliche keinen Zugang mehr zu qualifiziertem Musikschulunterricht hätten.
DMR-Präsidentin Lydia Grün sprach bei der Präsentation von einem »Weckruf« und verglich die Lage mit der Exklusivität eines Medizinstudienplatzes: Musikschulunterricht drohe zum knappen Gut zu werden, wenn die Nachwuchsförderung nicht deutlich verstärkt werde.
Ursachen: Bezahlung, Image, Strukturen
Als zentrale Gründe für den Nachwuchsmangel identifiziert die MiKADO-Studie eine Kombination aus strukturellen, finanziellen und kulturellen Faktoren. Genannt werden unter anderem vergleichsweise niedrige Vergütungen, hohe Befristungsquoten, Teilzeit- und Honorarverträge sowie ein im Hochschulkontext bisweilen geringes Ansehen der künstlerisch-pädagogischen Laufbahn gegenüber solistischen oder orchestralen Karrieren.
Der Bundesvorsitzende des Verbands deutscher Musikschulen, Friedrich‑Koh Dolge, sieht durch die Studie ein seit Langem vorhandenes »Bauchgefühl« empirisch bestätigt und fordert, dass künstlerische und pädagogische Studienanteile an Musikhochschulen »auf Augenhöhe« gelebt werden. Christian Fischer von der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen kritisierte, dass Studierenden an manchen Standorten noch immer von musikpädagogischen Studienwegen abgeraten werde, wenn sie als »zu gut« für die Pädagogik gälten, und stellte grundsätzlich infrage, warum die Förderung der Musikschulen kommunal noch immer keine Pflichtaufgabe sei.
Vorschläge für Gegenmaßnahmen
Trotz der alarmierenden Zahlen formuliert die Studie ein Bündel konkreter Empfehlungen entlang der Phasen Studienvorbereitung, Studium und Berufseinstieg. Vorgeschlagen werden unter anderem der Ausbau studienvorbereitender Angebote an Musikschulen, systematische Praktikums- und Mentoring-Programme sowie mehr praxisorientierte Studienplätze in musikpädagogischen Fächern, unterstützt durch eine bessere personelle Ausstattung der Hochschulen.
Für die Umsetzung der Gegenmaßnahmen kündigte Lydia Grün die Einrichtung einer Bund‑Länder‑Arbeitsgruppe zur Sicherung der außerschulischen musikalischen Bildung an, in der neben der Kultusministerkonferenz auch kommunale Spitzenverbände, Arbeitgebervertreter, der VdM und die RKM vertreten sein sollen.
Einordnung im Kontext MULEM‑EX
Die MiKADO-Musik-Studie fügt sich in eine Reihe von Analysen ein, die bereits für den Schulmusikbereich gravierende Engpässe dokumentiert haben. Die 2024 veröffentlichte MULEM‑EX‑Studie zum Musiklehrkräftemangel an allgemeinbildenden Schulen hatte einen deutlichen Rückgang der Bewerbungen für das Fach Musik festgestellt und ähnliche Ursachen wie geringe Attraktivität des Berufs, unsichere Perspektiven und mangelnde Anerkennung benannt.
Beobachter verweisen darauf, dass die politischen Reaktionen auf MULEM‑EX bislang punktuell geblieben seien und sich vor allem auf einzelne Ländermaßnahmen oder Modifikationen von Eignungsprüfungen beschränkten. Vertreter der Musikpädagogik mahnen deshalb an, die nun vorliegenden MiKADO-Befunde nicht erneut versanden zu lassen, sondern in eine abgestimmte Gesamtstrategie für die Sicherung musikalischer Bildung in Schule und außerschulischem Bereich zu überführen.
Reaktionen aus Ländern und Praxis
Landesverbände wie der Landesverband der Musikschulen in Nordrhein‑Westfalen sehen ihre eigenen Erhebungen durch MiKADO bestätigt und verweisen auf bereits gestartete Initiativen zur Talentförderung und frühen Begeisterung für pädagogische Tätigkeiten. Die Studie werde in den Musikschulen als Arbeitsgrundlage genutzt, um Personalstrategien zu überprüfen, Nachwuchspfade zu definieren und gegenüber Kommunen und Ländern den Handlungsdruck zu untermauern.
Aus der Praxis kommt zugleich die Forderung, der politische Diskurs müsse die künstlerisch‑pädagogischen Berufe als »Schlüsselberufe« kultureller Teilhabe begreifen und entsprechend ausgestalten. Am Ende, so formulierte es Christian Fischer, gehe es um eine Grundsatzentscheidung: »Was ist uns kulturelle Teilhabe wert?« – eine Frage, die mit den aktuellen Prognosen drängender geworden ist als je zuvor.
Text ist auch mit Hilfe von KI entstanden

