Wir wollen nicht »KZ spielen«

April 7, 2025
3 mins read
Die Passagierin in Weimar (Foto: Theater Weimar, Welz)

Jossi Wieler und Sergio Morabito inszenieren Mieczyslaw Weinbergs »Die Passagierin« in Weimar

English summary: In Weimar, Jossi Wieler and Sergio Morabito stage Weinberg’s opera The Passenger, exploring Holocaust memory through a courtroom setting inspired by the Auschwitz trials. The production avoids „playing concentration camp“ but sacrifices narrative clarity. Musically and vocally, it’s a powerful and moving performance.

»Weicht, ihr Geister aus jener Zeit!« – Aber sie weichen nicht, auch nicht achtzig Jahre nach dem Kriegsende und der Befreiung der KZs. Und es gibt keine Oper, die das deutsche Verbrechen geeigneter verarbeitet als Mieczyslaw Weinbergs Die Passagierin.

Das Werk hat eine gebrochene Geschichte. Schon 1968 fertiggestellt, wurde es erst 2006 in Moskau konzertant uraufgeführt. 2010 folgte dann die erste szenische Aufführung bei den Bregenzer Festspielen. Seitdem reißt die Serie der Inszenierungen nicht ab. Große, mittlere, auch kleine Häuser wagen sich an das faszinierende Stück. Seitdem hat sich für Die Passagierin mehr als dreißig Mal der Vorhang gehoben, darunter auch in London, Warschau, New York, Frankfurt, München, Madrid, Tel Aviv. Nun also, eingebettet in eine Themenwoche zum Gedenken, auch am Nationaltheater Weimar. 

Rückblick in die Geschichte

Das auf dem Roman von Zofia Posmysz basierende Libretto führt auf dem extraterritorialen Ort eines Überseeschiffs die ehemalige KZ-Aufseherin Lisa und Marta zusammen, die überlebende Gefangene, die ihr untergeben war. Mit ihrem Mann Walter, einem völlig gefühllosen Karrierediplomaten, ist Lisa auf dem Weg nach Brasilien. Er soll hier eine neue Stelle antreten. Die anfänglichen Zweifel über die Identität Martas zerstreuen sich, und Lisa muss dem Gemahl ihre Vergangenheit beichten. Er allerdings denkt nur an mögliche berufliche Nachteile. Ein Leben gerät buchstäblich und im übertragenen Sinne in Schwanken.

Bei den Szenen auf dem Dampfer bleibt Marta stumm. Lisa aber dekuvriert ihre Uneinsichtigkeit: »[Ich] war eine gute Deutsche. Ich bin stolz auf das, was ich getan hab …« Lange Rückblenden in den brutalen KZ-Alltag widerlegen die Selbstrechtfertigungs- und Relativierungsbemühungen Lisas allerdings. An Klarheit und Abscheu hier nichts verhüllt. 

Nicht »KZ spielen«

Ein Regieteam könnte es sich einfach machen und alles abbilden. Die Wirkung wäre unausweichlich. Das bewährte Duo Jossi Wieler und Sergio Morabito geht einen anderen Weg. Sie wolle nicht »KZ spielen« und siedeln das Ganze in einem Gerichtssaal an, der dem Raum der Frankfurter Auschwitz-Prozesse nachempfunden ist (Bühne und Kostüme: Anna Viebrock). Die Inszenierung will die Aufarbeitung bzw. Verdrängung der NS-Verbrechen in der jungen Bundesrepublik thematisieren. Auf dem Boden des Gerichtsaals liegen die ganzen drei Stunden lang die Todgeweihten wie ein nicht wegzuwischender Bodensatz. Sie tragen keine Häftlings-, sondern Alltagskleidung. Lisa dagegen trägt auf dem Schiff wie im Lager dasselbe feine Kleidchen. Bis zum Schluss: Dann hat sie eine (NS-)zeitgemäße Kombination an, Marta jedoch Abendgarderobe für eine Überseereise. 

Die Passagierin in Weimar (Foto: Theater Weimar, Welz)

Das ist alles fein ausgedacht. Allerdings wird ein nicht geringer Preis für die Verlagerung des Geschehens bezahlt. Die beiden Ebenen von Schiff und KZ sind nicht deutlich getrennt. Wenn die SS-Männer und Frauen an der Richterbank auf- und abgehen, passt das nicht genau. Da man annehmen darf, dass kaum einer im nahezu ausverkauften Nationaltheater die Oper vorher schon einmal gesehen hat, ist das bei aller perfekten Schauspielkunst und Ausstattung ein wenig am Publikum vorbeiinszeniert. Ohne Programmheft und/oder Einführung werden unvorbereitete Besucher Schwierigkeiten haben zu folgen. Unnötig sind eingestreute erotische Szenen (Lisa/Walter, Lisa/Aufseherin, Lisa/Marta): Zwar ist die ehemalige Aufseherin ein Zwitter aus Femme fatale und Femme fragile, aber Sex spielt hier nun wirklich keine Rolle. 

Musikalische Präzision

Was die Weimarer Aufführung sehr attraktiv macht, ist eine eigens dafür erstellte deutsche Übersetzung des russischen Originaltextes von Susanne Felicitas Wolf und Sergio Morabito. Sie ist gut gelungen, sangbar und zwischen Alltagssprache und Poesie auspendelnd.

Für das Dirigat hat man sich Roland Kluttig verpflichtet, der die Oper schon in Graz geleitet und dort die erste CD-Einspielung verantwortet hatte. In Weimar hatte er das Orchester und die genial eklektizistische Partitur aus gemäßigt moderner, den Freund Schostakowitsch nicht verbergender Klangsprache mit Einsprengseln aus Jazz, Volkslied und anderem bestens im Griff. Kluttigs präzise Zeichengebung ermöglichten ein großes Maß an Präzision zwischen Graben und Bühne.

Weinberg auf der BackstageClassical Playlist bei Qobuz

Sängerisch war es ein großer Abend. Sarah Mehnert als Lisa gab der umfangreichen Rolle mit ihrem wandelbaren Mezzosopran in allen Szenen Tiefenschärfe, ebenso Emma Moore als Marta, die trotz ihres Schicksals Ruhe ausstrahlte. Taejun Sun als eiskalter Walter gab seinem Rollenprofil einen überaus passenden Ausdruck. Die zahlreichen Nebenrollen und auch der Chor waren in guter Verfassung. Alles zusammen also ein sehenswerter Opernabend, freilich mit einem diskutablen Regiekonzept.

Premiere vor einem sehr angetanen Publikum war am 5. April. Tags darauf fand auf dem Ettersberg bei Weimar die Gedenkfeier für die Befreiung des KZs Buchenwald vor achtzig Jahren statt. »Nie verzeihn …!« heißt es in der Oper.

★★☆

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Johannes Mundry

Mundry studierte Germanistik und Hispanistik in Marburg, Bonn und Madrid, 1. Staatsexamen und Magister Artium in Bonn mit Arbeiten über die dramatische Kunst bei Stefan George und seinem Kreis, seit 1991 Pressereferent und Zeitschriftenredakteur im Bärenreiter-Verlag, nebenberufliche Tätigkeit als Musikkritiker und Autor verschiedener Zeitschriften.

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