Neuordnung auf dem Markt der Konzertveranstalter: Kleine Agenturen verschmelzen unter großen Dächern. Ein Prozess, den Platten-Labels und Agenturen bereits durchgemacht haben.
English summary: The classical music industry has undergone major transformations. Traditionally, concert agencies grew from passionate music lovers organizing events, like Hans Ulrich Schmid and Witiko Adler. Today, many have merged under major players like Deutsche Klassik and München Musik. The market is globalized, costs are rising, and live concerts now generate more revenue than recordings. Two dominant models exist: München Musik embraces eventization, while Deutsche Klassik focuses on artistic depth. Post-pandemic, touring is costly, making local markets vital. Agencies must build strong brands and engaging narratives to thrive. Despite challenges, industry leaders see opportunities in authenticity and direct audience connections.
Früher war es oft so: Am Anfang stand die Leidenschaft zur Musik, es wurde Bande zu Künstlern geknüpft, Konzerte organisiert und schließlich eine Agentur gegründet – oft regional, für die Grundversorgung der eigenen Stadt. So war es bei Hans Ulrich Schmid, der seinen Job als Klavierverkäufer für Steinway zu langweilig fand, der von Alfred Brendel schwärmte, von Sir Georg Solti und Pierre Boulez – und irgendwann ihre Konzerte und Tourneen organisierte. Und so geht auch die Erfolgsgeschichte von Witiko Adler, der Daniel Barenboims Debüt bei den Berliner Philharmonikern auf die Beine stellte und zu den Entdeckern von Anne-Sophie Mutter gehörte. Die Konzertagenturen Schmid und Adler waren Familienunternehmen, die in den Hochzeiten der Klassik zu prosperierenden, mittelständischen Betrieben expandiert sind.
Inzwischen ist die KD Schmid unter dem Dach der Deutsche Klassik angesiedelt, ebenso wie der Traditions-Veranstalter Goette, WDK Köln, Pro Musica Hannover oder Meisterkonzerte Bremen. Die Konzertdirektion Hans Adler (Gründer und Namensgeber war der Vater von Witiko) ist heute Teil von München Musik, ebenso wie Hörtnagel, Stuttgart Konzert, Alegria oder Nürnberg Musik. Deutsche Klassik und München Musik sind die zwei derzeit wohl größten Player im klassischen Konzertbereich in Deutschland und teilen sich weite Teile des Marktes auf den geografischen Nord-Süd und Ost-West-Achsen auf.
Fusionen im ganzen Klassik-Markt
Fusionen in der Klassik sind nicht nur auf dem Veranstaltungsmarkt zu beobachten, wir kennen sie auch aus dem Agenturbereich: Das Aufhorchen war groß, als sich die beiden internationalen Künstleragenturen Askonas Holt und Opus 3 zu einer Giga-Agentur zusammentaten. Auch auf dem CD-Markt lässt sich feststellen, dass viele einst als idealistische Familienbetriebe gegründete Unternehmen heute Unterschlupf bei großen Playern wie etwa Naxos finden, unter dessen Dach sich renommierte Labels wie Chandos, Capriccio, BelAir, Orfeo oder Oehms vereinen.
Es finden gerade massive tektonische Verschiebungen hinter den Kulissen der privatwirtschaftlich organisierten Klassik statt. In einem zunehmend globalisierten Markt, in dem die Kosten steigen und das Publikum schrumpft, wird es für kleine Unternehmen immer schwerer, sich zu behaupten. Ihr Zusammenschluss ist eine logische Konsequenz – und am Ende der beste Garant für ein Fortbestehen.

»Tatsächlich ist es für uns natürlich ein großer Vorteil, strukturelle Synergien zu schaffen, wo früher Einzelkämpfer unterwegs waren«, sagt Burkhard Glashoff, Geschäftsführer der DK Deutsche Klassik. »Egal, ob in den Bereichen Buchhaltung, Ticketing oder Künstlerbetreuung ist es für große Player natürlich effektiver, wenn wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf mehrere Projekte aufteilen. So ist es uns im Zusammenschluss gelungen, Konzertreihen, die zum Teil über Jahre hinweg defizitär waren und oft nur noch aus Leidenschaft gepflegt wurden, wieder rentabel zu machen – und dadurch zu erhalten.« Fusionen als Zukunftsmodell.
Mehr Geld im Veranstaltungsmarkt als bei Aufnahmen
Die Umstrukturierung des Veranstaltungsmarktes ist auch eine späte Reaktion auf den tieferen Wandel des Klassik-Marktes. Einst waren die Plattenlabels die Cash-Cows der Szene. Das hat sich geändert, heute sind sie in erster Linie praktische PR-Möglichkeiten für Künstlerinnen und Künstler. Früher haben Spitzen-Künstler das meiste Geld mit Plattenaufnahmen verdient, heute sind (auch auf Grund der Streaming-Anbieter) die Live-Auftritte weitaus lukrativer. In der Klassik-Branche ist zeitverzögert passiert, was im Pop etwas schneller ging: Während einige Künstler in den 1980er Jahren noch 80 Prozent ihrer Einnahmen durch Aufnahmen generiert haben, verdienen sie heute 80 Prozent ihrer Einnahmen mit Auftritten.
Die Veränderungen des Marktes haben bei den Plattenfirmen zu großen Fusions-Ketten geführt, zum Teil sogar zur Abwicklung vermeintlich unsterblicher Traditionslabels wie der legendären EMI. Sony hat sich inzwischen vollkommen neu strukturiert und ausgerichtet, und Universal versucht zum Teil noch immer, das alte Star-Modell der Klassik in eine neue Zeit zu retten.

Eine Zeit lang haben einige Labels geglaubt, dass sie sich am lukrativen Veranstaltungsmarkt beteiligen können (ebenso wie als Agenturen ihrer eigenen Künstler). Doch dieser Gedanke hat sich weitgehend zerstreut. Inzwischen arbeiten die meisten Aufnahmefirmen wieder mit den etablierten Konzertveranstaltern zusammen, und deren neue Macht zeigt sich auch an Veranstaltungen wie dem OPUS Klassik. Hier sprechen Veranstalter neben den Vertretern der Phonoindustrie inzwischen ein gewichtiges Wörtchen mit.
Zwei Player – zwei Konzepte
Derweil zeigen die beiden großen Player der Veranstaltungsbranche, wie verschieden die Ansätze innerhalb der Klassikbranche derzeit ausgelotet werden. Auf der einen Seite die Veranstalter unter dem Dach von München Musik, etwa der einstige Core-Klassik-Veranstalter Adler. Heute bietet er ganz selbstverständlich Formate wie Eckart von Hirschhausens Musik macht glücklich-Programm an, setzt trotz aller Kritik auf Künstler wie Teodor Currentzis und und präsentiert omnipräsente Klassik Stars wie Igor Levit. Außerdem weitet München Musik die Klassik-Kampfzone aus und bietet Konzerte wie Vivaldis Vier Jahreszeiten mit dem Stuttgarter Kammerorchester als »immersives Konzert« an. Auch auf dem Feld der immersiven Ausstellungen tummelt sich das Unternehmen.
Während München Musik also versucht, Klassik zu eventisieren, scheint die Konzertdirektion Schmid unter dem Dach von Deutsche Klassik einen anderen Ansatz zu folgen. Hier stehen die individuellen Projekte und Botschaften von Künstlerinnen und Künstlern wie den Geigern Augustin Hadelich oder Hilary Hahn, von Pianisten wie Jan Lisiecki oder Fazil Say im Vordergrund. Und die Orchester-Toruneen bieten nicht nur »Bestseller«-Klassiker, sondern setzen zum großen Teil auf klug konzipierte Programme mit intellektueller Tiefe.
»Stars aus der Retorte funktionieren nicht mehr«, erklärt Burkhard Glashoff von Deutsche Klassik, »die Zukunft liegt in der Glaubwürdigkeit des Konzeptes: Künstlerinnen und Künstler, die etwas zu sagen haben, die Qualität anbieten und die Musik mit ihrem Können mitten in die Gesellschaft stellen.« Diesem Credo folgen auch die meisten der Reihen von ProArte in Hamburg oder Frankfurt, die Heinersdorff-Konzerte in Düsseldorf oder die Konzerte der Westdeutsche Konzertdirektion in Köln. »Man mag uns vorwerfen, dass wir konservativ sind, aber für mich bedeutet das, auch alte Werte auf neuen Wegen zu verbreiten und die Flamme weiter zu reichen, statt die Asche anzubeten«, sagt Glashoff.
Neuer Markt. Neue Ordnung.
Der Veranstaltungsmarkt musste sich nach der Corona-Pandemie und dem erheblichen Anstieg von Energie- und Reisekosten neuen Herausforderungen stellen. Tourneen, besonders ins Ausland, werden immer teurer, und viele Veranstalter in Asien oder den USA können sich Gastspiele deutscher Orchester nicht mehr leisten. Die Konsequenz ist, dass immer mehr Ensembles und Künstler auf den lokalen Markt drängen. Hier wird es in Zukunft darauf ankommen, sich als eigene Marke zu etablieren, eine klare Botschaft im Gepäck zu haben und durch spannende Geschichten eine Nähe zum Publikum zu entwickeln.
Burkhard Glashoff bleibt auch wegen des Wandels optimistisch. »Ich glaube fest daran, dass gerade in unserer digitalen Gegenwart, in der viele Menschen in den sozialen Medien zu Hause sind, die Klassik durch eine Rückbesinnung auf ihre eigenen Werte – auf den direkten Kontakt mit dem Publikum, auf musikalische Qualität und inhaltliche Aussagen – wieder selber zu einem sehr modernen Wert wird«, sagt der Veranstaltungsmanager. »Der Veranstaltungsmarkt hat sich neu sortiert, vielleicht ist er ein wenig geschrumpft – aber wir organisieren uns gerade gesund und finden neue Synergien und Erzählformen für die Musik, mit der sie auch in Zukunft fortbestehen wird.«