Mach mir die Mallwitz

Dezember 12, 2025
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Die Dirigentin Joana Mallwitz (Foto: Pauly)

PR Agenturen sind die heimlichen Strippenzieher hinter den Klassik-Kulissen. Wer sind die großen Anbieter in Deutschland? Wie arbeiten sie? Eine Bestandsaufnahme. 

English summary: The article examines how PR agencies shape the classical music scene in Germany, focusing on major firms and their strategies. With shrinking media coverage, these agencies work hard to promote artists. It highlights forartists and PSmusic, noting how they built careers including Joana Mallwitz’s. 

Das Mediensterben in der Klassik und schrumpfende Räume für klassische Musik in Zeitungen, Fernsehen oder Radio haben Konsequenzen für PR-Agenturen. Sie leben davon, dass sie ihre Klassik-Künstlerinnen und -Künstler in die Öffentlichkeit stellen. Doch der Druck wächst: Weniger öffentlicher Raum für die Klassik auf der einen Seite, größere Erwartungen bei Künstlerinnen, Künstlern, Orchestern und Veranstaltern auf der anderen. Agenturen haben in den letzten Jahren ganz unterschiedliche Strategien entwickelt, um auf die aktuelle Situation zu reagieren – und nicht jede ist für jeden Kunden geeignet.

Zwei der in Deutschland wohl erfolgreichen Agenturen sind durch eine andere Krise entstanden: Als der Plattenmarkt Anfang der 2000er Jahre kriselte, die Labels sich umstrukturierten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern golden Handshakes anboten, ergriffen einige aus den Abteilungen des Marketings und der Öffentlichkeitsarbeit die Chance, sich mit eigenen Agenturen selbständig zu machen – so entstanden unter anderem forartists oder PSmusic. 

Expertise aus alten Zeiten

forartists wurde von Maren Borchers gegründet. Die Musikmanagerin hatte zuvor erfolgreich Künstlerinnen und Künstler unter anderem für die EMI aufgebaut und war zum Beispiel weitgehend verantwortlich für die frühe Karriere von Tenor Rolando Villazón. Borchers pflegte schon damals gute Kontakte in die Redaktionen, sprach Journalistinnen und Journalisten zielgerichtet an und unterschied sich von vielen ihrer Kolleginnen, da sie stets vom Inhalt her dachte und für ihr Metier brannte. Oft setzte sie sich in ihren Methoden gegen ihre Vorgesetzten aus dem Label durch.  

PSmusic wurde von zwei Frauen gegründet, die ihr Handwerk ebenfalls in der Plattenindustrie Anfang dieses Jahrtausends gelernt haben: Simone Dollmann hat für Decca und die Deutsche Grammophon gearbeitet, Peggy Schmidt war Marketingchefin von Universal Classics Deutschland und Vizepräsidentin des internationalen Marketings bei Decca. Beide gründeten 2010 unter den Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen eine Agentur. 

Mit Schmidt ist besonders der (mediale) Aufstieg des Pianisten Lang Lang verbunden. Während Borchers Künstler wie Villazón als Menschen eigenen Rechts in die Redaktionen einführte und es schaffte, dass viele Medienmenschen begeistert von ihren Künstlerinnen und Künstlern waren, bediente Schmidt eine eher »klassische« Medienstrategie, in der sie den Künstler als Marke erfand und feilbot, also ein Narrativ entwickelte und dieses streng in der Hand behielt. Heute sind beide Agenturen – forartists und PSmusic –  tonangebend, wenn es um die High-End-Vermarktung von Klassik-Künstlerinnen und -Künstlern im deutschsprachigen Raum geht. 

Der selbstbestimmte Künstler

Dabei sind sie ihren alten Strategien weitgehend treu geblieben. Egal, ob es um die Vermarktung einzelner Künstlerinnen und Künstler oder um die Öffentlichkeitsarbeit von Orchestern und Festivals geht. Der Erfolg von forartists basiert hauptsächlich auf der Zusammenarbeit mit zwei Künstlern: dem Pianisten Igor Levit und der Dirigentin Joana Mallwitz. 

Levit war Borchers Gesellenstück als frisch gebackene Agenturchefin und ist ihr bis heute treu. Gemeinsam mit dem Pianisten hat sie an einer Marke gebastelt, die bis heute Bestand hat: der politisch aktivistische Klavierspieler, der tief in der Musik verankert ist und gern als Intellektueller auftritt. 

Maren Borchers

Dabei handelt es sich freilich um Klischees, die aber sowohl im alten Feuilleton als auch auf dem Klassik-Boulevard greifen. Alles begann mit der ehemaligen (und damals noch einflussreichen) FAZ-Journalistin Eleonore Büning, die Borchers sehr nahe stand – sie schrieb die erste große Hymne auf Levit! Auf diesen »Adelsschlag« baute forartists auf, »verkaufte« den Pianisten als Genie und positionierte ihn bewusst (und sicherlich auch nach seinen eigenen Wünschen) in den politischen Feuilletons, bei oft klassikfernen Kulturautoren, die sich aber gern mit Klassik-Kumpeln schmücken. Plötzlich wurde Igor Levit von Claudius Seidl protegiert, von Jan Böhmermann, von Luisa Neubauer und anderen »Movern und Shakern« des kulturpolitischen Medienzirkus’, er wurde »Freund« von Politikerinnen und Politikern und wird von vielen als künstlerisches Gewissen verstanden – eine Art: Bundeskulturpianist. 

Levit entpuppte sich als perfekter Kunde, bediente Borchers Masterplan spielerisch, perfektionierte die Narrative – und lebt bis heute von ihnen. Egal, was man von seinem Klavierspiel hält oder von der Tiefe seiner politischen Einlassungen: Igor Levit ist eine der erfolgreichsten Medienfiguren der deutschsprachigen Klassik.

Dass er kein mediales one-hit-wonder war, zeigte Borchers später mit der Kampagne für die Dirigentin Joana Mallwitz. Anders als Levit wurde sie nicht im politischen Feuilleton verankert, sondern auf dem schillernden Klassik-Boulevard: populär, feminin und irgendwie altbacken-klug. Eine Künstlerin wie gemacht für Preise aus der BUNTE-Redaktion. 

Ist die Marke größer als der Mensch?

Kuscheln mit der Kulturpolitik: Igor Levit und Claudia Roth (Foto: X)

Also alles perfekt? Man könnte kritisch anmerken, dass sowohl Levit als auch Mallwitz inzwischen von der Größe ihrer eigenen Klischees überholt werden. Es wird schwer sein, sich von ihnen zu befreien. Bei Levit sind erste Brüche bereits erkennbar. Und es besteht durchaus die Gefahr, dass die übergroßen Bilder irgendwann zu hohlen Behauptungen wachsen, die nicht mehr durch musikalischer Qualität gedeckt werden. Es ist zu früh zu prophezeien, was dann aus diesen Medien-Stars der Klassik wird.

Viele Künstlerinnen und Künstler wie Andreas Ottensamer, Chen Reiss, Julia Hagen oder Francis Leleux sind inzwischen ebenfalls unter das Dach von forartists gekommen, ebenso wie das Festspielhaus Baden-Baden, der Kissinger Sommer oder die Münchner Philharmoniker. Was auffällt, ist, dass Borchers Prinzip des emanzipierten Künstlers bei ihnen weniger gut zu funktionieren scheint. Bei ihnen wirken die Kampagnen eher wie nach dem Schema-F gestrickt: Klassik-»Stars« werden unter einer spannenden Überschrift schnell auserzählt. Da wirkt vieles plötzlich aufgesetzt, wie hohle PR, wie aus dem Baukasten einer Proseminar-Vorlesung zur Imagebildung. Und plötzlich sehen die Künstlerinnen und Künstler, aber auch viele der Institutionen, eher altbacken aus und wirken selber wie Relikte einer überkommenen Klassik-Welt, denen die Anknüpfungspunkte an ihr Publikum und an die Medien in einer Zeit der Transformation fehlen. Mit anderen Worten, viele dieser Kampagnen wirken einfach wie: Werbung.  

Kontrolle über das Image

Peggy Schmidt

Ebenso wie Maren Borchers pflegen auch Peggy Schmidt und Simone Dollmann von PSmusic weiterhin sehr gute Feuilleton-Kontakte. In ihrer Arbeit sind die beiden wesentlich konservativer (und vielleicht auch eindimensionaler). Wie schon in Label-Zeiten scheint das Prinzip bei PSmusic weniger der selbstbestimmte Künstler zu sein als die Marke, die mit ihm gepflegt werden soll. Künstlerinnen und Künstler werden hier eher professionell zur medialen »Verwertung« angeboten und auf einen Medien-Markt getrimmt, der gern selber an der Oberfläche bleibt: vom Morgenmagazin bis zur Hauptprogramm-Spielshow, in denen sich die Marke weit von der eigentlichen Klassik entfernt.

Künstlerisches Flaggschiff von PSmusic ist nach wie vor Lang Lang, der inzwischen  durch so ziemlich alle (Fernseh)formate gereicht wird und in seinem Image längst losgelöst von seiner Kunst ist. Es ist durchaus bemerkenswert, wie Peggy Schmidt es geschafft hat, einen weitgehend uncharismatischen chinesischen Pianisten neben Rolf Zuckowski mitten in die deutsche Weihnachtsbäckerei zu stellen. Dass PSmusic »zufällig« auch jenen dänischen Klassikpreis betreut, der Lang Lang gerade ausgezeichnet hat, ist symptomatisch für die oft sehr selbstreferenzielle Arbeit der Agentur. 

Während es forartists immer wieder gelingt, das Feuilleton neugierig auf seine Künstlerinnen und Künstler zu machen, setzt PSmusic entweder auf einen Mainstream, der von Klassik lediglich ein Klischee erwartet, oder auf kleine, selbstreferenzielle Klassik-Netzwerke. Das spiegelt sich auch in den Kunden der Agentur wider: Institutionen wie der ARD Musikwettbewerb, das Siemens Arts Program oder der Wettbewerb Neue Stimmen der Liz Mohn Stiftung haben längst Patina angelegt und bekommen von PSmusic ein PR-Konzept verpasst, das weniger an der dringenden Erneuerung der Institutionen interessiert ist, als daran, die Klassik-Welt von gestern noch ein wenig herauszuzögern – gerade zu beobachten in der aktuellen Kampagne für den Wettbewerb Neue Stimmen, die so alt aussieht als würden sie in den Klassik-80ern in Bulgarien spielen.  

Auch das Portfolio der Künstlerinnen und Künstler bei PSmusic scheint eher der »old school« anzugehören: Sarah Willis, Alondra de la Parra, Golda Schultz oder Pablo Heras-Casado stehen mehr für die »traditionelle« Klassikwelt, für Musik als Distinktionsmerkmal, denn für einen Aufbruch in die Zukunft. 

Unterstützung für den Journalismus

Lang Lang und Rolf Zuckowski (Foto: Deutsche Grammophon)

Manche Kampagnen wie jene für die Griechische Nationaloper in Athen wirken fast schon kontraproduktiv, wenn eingeladene deutsche Journalistinnen und Journalisten randomhaft zur gleichen Zeit über das Haus berichten, weil gerade Mal wieder eine Pressereise organisiert wurde. PSmusic macht sich dabei die Krise der Klassik-Medien zu Nutze, indem die Agentur Berichterstattung gern »unterstützt«. Ob das langfristig glaubhaften Content erzeugt, bleibt fraglich. 

Was allerdings sowohl auf forartists als auch auf PSmusic zutrifft, ist ihre eigene, tiefe Verbundenheit mit der Welt der klassischen Musik. Das wirkt nicht bei allen großen Agenturen so. So wurde ich als Journalist selten aggressiver (und oft auch nicht ignoranter) angeschrieben als von Vertretern der Agentur wildcat. Sie wirbt auf ihrer Seite mit einem besonders durchgewürfelten Portfolio von Cate Blanchett über David Garrett bis zu Benjamin Bernheim, Moritz Eggert und Hanni Liang. Ich habe die Mails dieser Agentur und ihre Vertreterinnen und Vertreter irgendwann als Spam markiert.

Schwierige Zeiten

Simone Dollmann

Es fällt auf, dass viele Anfragen von PR-Agenturen zwischen den Zeilen erkennen lassen, wie eng der Markt geworden ist und wie groß der Druck von Seiten der Veranstalter, der Künstlerinnen und Künstler wird, dass trotz der schmelzenden journalistischen Flächen  »irgendetwas« über sie erscheint. Nicht selten wird das Marketing-Narrativ dabei wichtiger als der eigentliche Content, den die Künstlerinnen und Künstler mitbringen. Die eigene Erfindung wird größer als das Vertrauen in die journalistische Einordnung. All das mag gestern, als es noch viele große Publikationen gab, funktioniert haben. Heute wird dadurch in erster Linie ein selbstreferenzieller Markt bedient, der in sich ebenfalls ein Auslaufmodell zu sein scheint: PR-Journalismus ist in Zeiten von Social Media kaum noch glaubhaft. Gerade Klassik-Medien wanken, weil viele von ihnen für ihre Leserinnen und Leser unglaubhaft geworden sind – weil sie als abhängig von der PR wahrgenommen werden. Es gibt nur noch wenige Opinion-Leader, deren Urteil tatsächlich auch aus der Nische für die Masse Gültigkeit hat.

Der Charme der Kleinen

Um so spannender werden kleinere Agenturen, die oft als One-Man oder One-Woman-Shows auftreten und für viele Künstlerinnen und Künstler wirkliche Alternative darstellen können. 

PR2 Klassik von Gabriele Schiller in Köln ist so eine Agentur. Hier geht es eher um die individuelle Beziehung zwischen Künstlerinnen und Künstlern, aber auch um die gezielte Ansprache von Medien, darum, dass Anfragen maßgeschneidert für die Redaktionen und ihre Formate sind. PR2 Klassik vertritt unter anderen Manfred Honeck, Jan Vogler, Omer Meir Wellber oder Kent Nagano. Ähnlich engagiert und ebenfalls nahe an ihren Künstlerinnen und Künstlern, aber auch an Journalistinnen und Journalisten, operiert die ehemalige Platten-Managerin Daniela Majer mit ihrer Agentur Damacormusic. Sie vertritt unter anderen Emmanuel Tjeknavorian, Catherine Forster oder Lucas und Arthur Jussen. Auch sie setzt weniger auf große Kampagnen mit großen Streuverlusten, sondern auf individuelle und persönliche Positionierungen je nach Thema und Veranstaltung. Hier steht der Inhalt im Vordergrund, weniger das Image. 

Der Markt der PR-Agenturen in der klassischen Musik ist überschaubar geworden, ebenso wie der Markt der immer kleiner werdenden Medien, die über Klassik berichten. Dabei wirkt vieles noch immer wie die Fortsetzung des längst untergegangenen CD-Marktes der frühen 2000er Jahre. Aber der Markt von Zeitungen, Sendern und sozialen Medien wandelt sich radikal – neue PR-Konzepte sind durchaus gefragt.

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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