»Lyniv und Currentzis war eine Utopie«

April 5, 2024
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Milo Rau in Sturmmaske bei der Pressekonferenz der Wiener Festwochen
Milo Rau in Sturmmaske bei der Pressekonferenz der Wiener Festwochen (Foto: Privat)

Der Intendant der Wiener Festwochen will in Wien die Freie Republik ausrufen. Mit Der Einladung von Teodor Currentzis verfolgte er eine Utopie – und scheiterte. Ein Podcast über die Grenzen der Kunst.

Milo Rau ist Intendant der Wiener Festwochen. Nachdem er geplant hatte, dass die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv und der Russe Teodor Currentzis jeweils ein Requiem dirigieren, musste er erkennen, dass Kunst nicht alle Brücken schlagen kann. 

Lyniv wollte nicht in einem Kontext mit Currentzis auftreten: »Ich kann es gegenüber den fast 150 Musikerinnen und Musikern, die aus dem Krieg in der Ukraine nach Wien reisen, nicht verantworten, in einen Kontext mit Teodor Currentzis gestellt zu werden und eventuell sogar an einem Whitewashing teilzunehmen.« Rau hatte Verständnis und lud den Russen wieder aus.

Der Intendant wurde als Performance-Künstler bereits selber Opfer der russischen Kulturbehörde. Als Veranstalter der Moskauer Prozesse wurde Rau aus Russland ausgewiesen. 

Nun will er Wien zur Freien Republik erheben und in der Stadt ein Tribunal abhalten – angeklagt ist neben ihm selber auch die Rechtspartei FPÖ. Im Podcast reden Milo Rau und Axel Brüggemann darüber, ob Kunst die bessere Wirklichkeit sein kann. Ob Christoph Schlingensief mit seinen Containern bei den Festwochen die Kunst nicht schon über die Grenzen der Wirklichkeit getrieben hat. Und was danach noch kommen soll.

Wie kann Kultur in unsere Gesellschaft eingreifen? Ist die Revolution auf der Bühne die bessere Revolution? (hier der Podcast für alle Player)

Hier ein Ausschnitt aus dem Podcast: 

War die Absage von Oksana Lyniv und die Ausladung von Currentzis ein Scheitern von Kunst?

Es gibt wohl immer eine Motivationskraft des Ganzen, und es gibt eine Motivationskraft der einzelnen Teile. Manchmal gibt es Situationen, in denen die einzelnen Teile stärker als das Ganze sind – besonders in Live-Veranstaltungen. Natürlich haben wir die Sache 1.000 Mal diskutiert, mit allen Beteiligten. Aber in dem Moment, in dem es dann medial wurde, gibt es plötzlich einen Echoraum, der nicht vorgesehen war. Und auf diesen Echoraum reagieren alle anders. Plötzlich geht es dann nicht mehr, und man muss eine Entscheidungen treffen. 

Was hatten Sie denn erwartet?

Das Scheitern ist ja immer in der Kunst schon eingebaut. Aber es wäre interessant gewesen, was mit der Motivation von Currentzis in dieser Doppelkonstellation passiert wäre. 

Er hätte wahrscheinlich dirigiert, weiter geschwiegen – und weiter auch in Russland gearbeitet…

Trotzdem war es zunächst ja eine Grundidee, dass Gegensätze sich durch das Konzept der Festwochen ziehen. Russland und die Ukraine, aber auch der jüdisch-palästinensische Konflikt. Es gibt viele Spannungsverhältnisse in unserer Gegenwart. Ich komme gerade von einem Vertreter der FPÖ, die im Zweiten Prozess des Tribunals dabei sein wird. Wir mache das alles ja auch ein Stück weit gemeinsam – weil es anders nicht geht. Ich hoffe, das Format ist stark genug. Es sieht auf jeden Fall die gleiche Fairness für alle vor. 

Aber haben Sie nicht die Angst, dass das »Brückenbauen der Kunst« auch missbraucht wird? 

Natürlich, das kenne ich aus dem Moskauer Prozessen: Alle wollten das Ding damals im Sacharow-Zentrum haben. Das war kurz vor den Olympischen Spielen in Sotschi, Russland setzte auf Entspannung. Pussy Riot war schon im Lager, eine war draußen bei uns. Das war ein Moment des Dialogs. Und irgendwann haben wir aber gemerkt: Puff! Der Staat wollte diesen Dialog plötzlich nicht mehr. Und dann hat er das Projekt einfach abgestellt…

Und Du wurdest des Landes verwiesen ….

Genau. Ich war noch in einer Fernsehshow zu Gast, und dann wurde gesagt »Der Jude Milo Rau«. Und ich denke: »Okay, wenn sie Dich in Russland ‚Jude‘ nennen, giltst Du gleich als russischer Spion.« Und dann wurde ich auch gleich ausgewiesen. Das ist, was ich mit dem »Aggregatzustand« meine. Natürlich ist das ein strategisches Spiel, und als Veranstalter und Künstler will man den Rahmen schaffen, in dem plötzlich dieser surreale Wachtraum stattfindet, dass Seiten die nie miteinander sprechen, nur in diesem Raum miteinander sprechen. Das ist ja auch das Interessante im Bezug auf Currentzis und Lyniv für gewesen: Vielleicht können wir etwas ermöglichen, was in der Realität nicht möglich ist. Ich bin ja auch Utopist…

Und bist Du nun desillusioniert? So wie damals in Russland, als die Mächtigen den einfach den Schalter drehten?

Ja, deshalb verstehe ich Leute wie Currentzis und Serebrenikov vielleicht ja auch. Wenn sie einen falschen Move machen, werden sie ausgeknipst. Das ist doch klar…

… na ja, aber Currentzis hat sich ja auch selber angeknipst und profitiert vom russischen Geld, er tanzt quasi auf zwei Hochzeiten…

Ich kenne seine Geschichte nicht so genau. Ich kenne das nur von mir: Wenn Künstler glauben, dass sie Magier sind, die mit der Macht spielen können, spielt die Macht immer mit ihnen. Das ist eine Erfahrung gewesen, die ich damals gesammelt habe. Die Sache in Moskau ist für mich sntzisechlecht ausgegangen, weil ich seither da nicht mehr gearbeitet habe. Das ist auch schmerzhaft, weil Russland für mich immer ein sehr wichtiger Kulturraum war. 

Hier geht es zur Seite der Wiener Festwochen

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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