Der SWR kannte Posts vom Panzer-Tenor – warum passierte nichts?

Juni 5, 2024
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Das SWR Vokalensemble (Foto: SWR)

Der SWR war über die prorussischen Posts eines Tenors des SWR Vokalensembles informiert. Warum ist nichts geschehen?

Der SWR war schon länger über die Facebook-Posts des Tenors Alexander Y. aus dem SWR Vokalensemble informiert. Unter anderem hatte er samt russischer Flagge auf einem sowjetischen Panzer posiert, hatte Vladimir Putin liebevolle Geburtstagsgrüße gesendet, wünschte sich den Sieg Russlands im Angriffskrieg gegen die Ukraine – außerdem bat er Exilrussen, in Zeiten des Krieges zusammenzuhalten. 

Auf erneute Anfrage von BackstageClassical räumte der SWR nun ein, von diesen Äußerungen bereits im Vorfeld gewusst zu haben. Dass der Sender nicht handelte, erklärte der SWR damit, dass es sich um »private Äußerungen auf einem privaten Facebook-Account« gehandelt habe, und dass Alexander Y. in Deutschland das Recht auf Meinungsfreiheit genieße. 

Dass der Sender letztlich doch aktiv wurde, das Gespräch mit Alexander Y. suchte und dieser seinen Facebook-Account löschte, erklärt der Sender mit der Berichterstattung über den Fall. Durch sie wäre der »SWR nun gehalten, zum Schutz der übrigen Ensemble-Mitglieder und zur Vermeidung weiterer Beschädigungen, einzuschreiten. Am Ende waren keine arbeitsrechtlichen Schritte nötig, da Herr Y. von sich aus angeboten hat, den Account offline zu nehmen.«

Außerdem erklärt der SWR in seiner Stellungnahme, dass Alexander Y. »’nur’ Sänger im SWR Vokalensemble« sei. Es mache einen Unterschied, ob er oder etwa Teodor Currentzis, der an der Programmplanung beteiligt ist, sich prorussisch äußere. »Er (Alexander Y.) wirkt inhaltlich auf das Programm des SWR lediglich insoweit ein, als er Liedtexte Dritter künstlerisch zum Ausdruck bringt«, schreibt der Sender. »Darum ging der SWR bislang davon aus, dass die Meinungsfreiheit von Herrn Y. das berechtigte Interesse des SWR, in seinem Ruf und in seiner Glaubwürdigkeit nicht beschädigt zu werden, überwiegt.«

Einordnung der Stellungnahme

Tatsächlich genießt Alexander Y. natürlich Meinungsfreiheit, und der SWR hat Recht, wenn er erklärt, dass »in diesem Land auch moralisch untragbare Meinungen frei geäußert werden dürfen«. Aber der SWR verschiebt das moralische Problem hier auf eine arbeitsrechtlich-juristische Ebene und blendet dabei die eigene, lange Vorgeschichte aus: 

Am Donnerstag soll das SWR Vokalensemble (ob Alexander Y. dabei ist oder nicht, ließ der SWR weiterhin unbeantwortet) gemeinsam mit dem SWR Sinfonieorchester unter Teodor Currentzis Benjamin Brittens War Requiem aufführen. Currentzis und das Orchester wurden zuvor von den Wiener Festwochen ausgeladen, da die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv auf Grund der Russland-Verbindungen von Currentzis nicht an seiner Seite auftreten wollte. Zuvor hatten auch das Konzerthaus in Wien und die Philharmonie Köln auf Auftritte von Currentzis verzichtet. Beide mit Verweis auf seine Russland-Nähe und seine unklare Position zum Angriffskrieg auf die Ukraine. Der Ruf des SWR Sinfonieorchesters, das trotz der Russland-Verbindungen an seinem Chefdirigenten festhielt, hatte also schon Schaden genommen.

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Um Zweifel zu zerstreuen, erklärte der SWR selber, dass das War Requiem von Britten ein Ausdruck für den Frieden sei und man natürlich den Angriffskrieg Russlands verurteile. 

Doch nun könnte ausgerechnet ein Sänger auf der Bühne stehen, der öffentlich den Angriffskrieg verteidigt, denn der Facebook-Account von Alexander Y. war eben nicht privat, sondern für alle Menschen sichtbar, und der SWR wurde hier auch als Arbeitgeber genannt.

Dem SWR war die Haltung seines Tenors lange bekannt. Wäre es nicht klug gewesen, intern Gespräche zu suchen? Hätte man nicht voraussehen können, dass irgendjemand die öffentlichen Posts thematisieren würde? War dem SWR nicht klar, dass die demonstrativ zur Schau gestellte Haltung seines Sängers die Anstrengungen des Orchesters torpediert, sich und seine Arbeit als Botschafter für den Frieden und als Kritikerin des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine zu positionieren?

Natürlich herrscht in einem Rechtsstaat Meinungsfreiheit, und natürlich ist das Arbeitsrecht ein hohes Gut. Aber es ist kaum von der Hand zu weisen, dass die Posts von Alexander Y. dem auf Grund seines Chefdirigenten bereits in der Kritik stehenden Orchester eher schaden als helfen. Ist die Argumentation, dass erst die Berichterstattung über die Posts den SWR zum Handeln gezwungen hätten nicht absurd?  

Natürlich hätten die Orchesterleitung und die Intendanz früher handeln können. Sie hätten sofort nach Bekanntwerden der Posts das Gespräch mit Alexander Y.  suchen können, um – jenseits juristischer Schritte – gemeinsame Lösungen zu finden (das haben sie nach der Veröffentlichung ja auch getan). 


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Durch das Zögern ist nun ein merkwürdiges Bild entstanden: Ein War Requiem als Kritik am Angriffskrieg Russlands – mit einem Dirigenten, der in Russland mit Gazprom und der VTB-Bank kooperiert und eventuell mit einem Tenor, der auf seiner Facebook-Seite den Sieg Russlands wünscht. Wer soll das verstehen?

Interessant ist übrigens der letzte Satz in der SWR-Antwort auf die Nachfragen von BackstageClassical: »Ob Herr Y. mit seinen Äußerungen möglicherweise strafbar gemacht hat, weil diese als Billigung einer Straftat (eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges) zu verstehen sein können, ist nicht vom SWR, sondern von den Strafverfolgungsbehörden zu bewerten.« Ob der SWR Mal bei einer Strafverfolgungsbehörde nachgefragt hat?  

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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