
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit einem kleinen Wutanfall und einer Gegenrede, mit ein wenig Atem zum Nachdenken über Musik, einem teuren Wunder von Köln und zwei historischen Rückblicken.
Warum nur, warum?
Warum wirkt Klassik im ZDF oft wie ein etwas zu bunter Autounfall? Sitzen die Kulturleute auf dem Lerchenberg nur noch in ihren Redaktionen und gehen gar nicht mehr dorthin, wo die Musik andauernd neu und spannend in Szene gesetzt wird, in unsere Konzert- und Opernhäuser? Wie sonst kann es sein, dass die Klassik im ZDF noch immer wie anno dazumal angemischt wird? Dass die üblichen Verdächtigen (Rrrrrrolando Villazón, Elīna Garanča, Klaus Florian Vogt und HAUSER) aufs Schloss Neuschwanstein kutschiert werden, das so kunterbunt illuminiert ist, dass es selbst Disney+ peinlich wäre, und dort dann bekannte Klassiker trällern. Derartig altbackene Sendungen locken garantiert kein neues Publikum – und sie werben auch nicht für unsere Kunst, sondern verraten sie. Vor allen Dingen ignorieren sie die Lebendigkeit, die Kreativität und die Modernität von Klassik in unserem Alltag. Hier ist mein kleiner Wutanfall über diese »kunterbunte Klassik-Prostitution«. Aber es gibt (sonst wären wir nicht BackstageClassical) natürlich auch eine Gegenrede von Thomas Schmidt-Ott.

Was ist eigentlich Musik?
In unserem hektischen Alltag kommen wir kaum noch zum Nachdenken darüber, warum wir tun, was wir tun. Um so wichtiger ist es, zuweilen innezuhalten. Ich freue mich, dass wir bei BackstageClassical einen Text der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek dokumentieren können, den sie zur Eröffnung der Hamburgischen Staatsoper geschrieben hat: Ein poetisches Nachdenken über die Musik, die Oper und das Zuhören. Empfehlenswert auch für den Lerchenberg 🙂 »Das kann doch nicht wahr sein!, sagen wir zu dieser Sprache, die ihre Wahrheit wie einen Rucksack mit sich trägt, erst wenn sie sich umdreht, diese Musik, also sozusagen hinterher, sehen wir, was wir da vorhin vorn gehört haben und sehen, was wir gar nicht gehört haben, weil wir eine Sekunde lang nicht aufgepaßt haben: Schon war es in uns drinnen!« Lesenswert.

Das Wunder von Köln
Man kann es kaum glauben, aber nach 13 Jahren Bauzeit und 1,5 Milliarden (sic!) Euro Kosten soll das Theater Köln am 24. September 2026 endlich (mit einer Kinderoper) eröffnen: Opernintendant Hein Mulders und Schauspielchef Kay Voges sollen nach der Rückkehr an den Offenbachplatz ab Herbst 2026 das neue Architektur-Ensemble in Betrieb nehmen. Erste Proben sind im Frühjahr 2026 geplant. Köln hat damit bald das teuerste Nachkriegs-Kulturgebäude in Deutschland! Ob Frankfurt oder Stuttgart das toppen werden?
Was wären wir ohne Mendelssohn?
Gerade, wenn die Zeit uns ein bisschen ratlos macht, tut es gut, zurück in die Musikgeschichte zu blicken. Ich habe das für den BackstageClassical-Podcast gemeinsam mit dem Direktor des Mendelssohn Hauses, Patrick Schmeing, getan. Er hat mir nicht nur über die Preisträger der Mendelssohn-Festtage (ab 2. November in Leipzig) vorgeschwärmt, über Elena Bashkirova und Michael Blumenthal, sondern auch erklärt, wie Mendelssohn unsere Musikgeschichte geprägt hat: Wie er Bach ausgegraben und das Gewandhaus neu gedacht hat – eine Inspiration auch für Musikerinnen und Musiker unserer Gegenwart.
Werden wir alle ersetzt?
Der US-Informatiker und KI-Forscher Roman Yampolskiy hat kürzlich erklärt, dass bis 2030 theoretisch 99 Prozent aller Berufe durch Künstliche Intelligenz ersetzen werden könnten. Wohl gemerkt: Alle! Also auch die Dramaturgen unserer Konzerthäuser – und vielleicht sogar die Musikerinnen und Musiker, ja, selbst Dirigentinnen und Dirigenten. Thomas Schmidt Ott dekliniert dieses Szenario, wenn Diven keine Allüren und Musiker keine Gewerkschaften mehr haben, mit einem Augenzwinkern. In Wahrheit stellt die Zukunft uns vor große Fragen: Was macht unsere Kreativität aus? Was unterscheidet uns vom Computer? Und wo muss der Mensch der Maschine Grenzen aufzeigen und den Stecker ziehen?
Personalien der Woche

Am Wochenende war ich im MusikTheater an der Wien: Mitten im Strauss-Jahr hat die ganze Stadt auf die Fledermaus-Inszenierung von Stefan Herheim gewartet. Und, um es kurz zu sagen: Es war eine zähe Angelegenheit. Meine Kritik gibt es hier. +++ Die Orchestervereinigung unisono hat eine neue Geschäftsführung: Julia Hofmann verstärkt die bisherige Ein-Mann-Spitze von Robin von Olshausen. +++ Ich habe ihn immer gern besucht in seinem XXL-Büro der Bundesstheater-Holding in Wien. Er ist ein »Typ geradeaus«. Nun nimmt Geschäftsführer Christian Kircher seinen Hut, im März 2026 übernimmt jemand anderes den Laden mit 2.500 Mitarbeitenden. Und eines gilt dabei wohl als sicher: Kirchers Nachfolger wird sparen müssen. Der Job verliert an Attraktivität. Mit dem derzeitigen Geschäftsführer geht ein Grand Seigneur der Theaterwelt.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Unser ARD-Podcast Klang der Macht ist letzten Dienstag erschienen – und die Zugriffszahlen zeigen: Musik, Politik und Kultur finden durchaus eine breite Hörerschaft. Und hier nun noch einmal Werbung in eigener Sache. Man kann die sechs Teile natürlich auch einzeln hören, je nach Interesse: Während Teil 1 und Teil 2 sich mit der Wende-Situation in Dresden und dem Semperopernball 2009 auseinandersetzen, tauchen wir in Teil 3 in die Stasi-Unterlagenbehörde ab und erzählen die spannende Geschichte eines Spitzels an der Semperoper und die Arbeit des damaligen Intendanten. In Folge 4 kommt die Regisseurin Christine Mielitz ausführlich zu Wort – ein einmaliges und exklusives Gespräch über die Hintergründe ihrer Arbeit. Außerdem dabei: Der um historische (Um)deutung bemühte Hans Modrow in einem der letzten Interviews, die er gegeben hat. Alles um den Panama-Skandal und den Putin-Cellisten Sergej Roldugin erzählt der Investigativjournalist Frederik Obermaier in Folge 5, bevor wir im letzten Teil die Geschichte dann in die Gegenwart holen. Ich wünsche Ihnen spannende Unterhaltung bei diesem History-Podcast aus der Welt der Klassik und der Politik, der meiner Kollegin Jeanny Wasielewski und mir sehr am Herzen liegt (hier gibt es den gesamten Podcast bei ARD Kultur, hier ein Gespräch, das ich mit dem Deutschlandfunk geführt habe).
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif.
Ihr
Axel Brüggemann