
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute geht es um Leben und Tod – ein Sänger bekämpft die Leukämie und nimmt die Winterreise auf, immer mehr Orchester fürchten um ihre Existenz, und die Met sucht ihr Heil in Saudi-Arabien. Zum Glück haben wir einen neuen Kolumnisten für diese verrückten Zeiten gefunden!
Um Leben und Tod
Es gibt Gespräche, in denen das eigene Denken über die Bedeutung all dessen, was wir für wichtig halten, grundsätzlich in Frage gestellt wird. Wie wichtig ist die Kunst wirklich? Wenn es um Leben und Tod geht? Als Johannes Martin Kränzle zum zweiten Mal an Leukämie erkrankte, war sein größter Wunsch: Eine Aufnahme der Winterreise. Im Notfall als Vermächtnis. Doch irgendwann rückt auch die Kunst in den Hintergrund. Das, was wirklich wichtig wird, ist der kleine Kosmos der Familie. Kränzle hat die Stammzellentherapie inzwischen überstanden, ein umjubeltes Comeback in Salzburg gefeiert – im Podcast von BackstageClassical redet er über die Bedeutung der Kunst, darüber, was ihn von Schuberts »Wanderer« unterscheidet und wie wichtig es ist, sich als Spender zu registrieren.
Sparen bis zur Auflösung
Und wieder ein Orchester weniger! Niederösterreich eliminiert das Orchester der Bühne Baden – dafür muss das Tonkünstler-Orchester hier zukünftig für Musicals und Operetten zum Dienst antreten. Und der Protest? Ist vergleichsweise leise. Dabei ist Baden nur ein Beispiel: Auch in Deutschland sind Sparhaushalte von Berlin bis München, von Leipzig bis Köln beschlossen – und die Kultur muss sehen, wo sie in Zukunft abspeckt. Sicher ist, dass alte Privilegien sich auflösen. Unsere Gesellschaft meint zunehmend, auf Klassik verzichten zu können. Schuld daran ist vielleicht auch die etwas überschätzte Selbstwahrnehmung mancher Orchester. In einem Essay habe ich mir die Landschaft der Streichungen angeschaut. Es sieht nicht gut aus. Besonders in den Kommunen herrscht längst Notstand. Alte Privilegien zu verteidigen ist keine Option mehr – wir müssen unsere Kulturförderung grundlegend neu denken.

Schmettern für die Scheichs und Millionen an der Elbe
»Ich muss das Überleben der Met sichern« mit diesen Worten rechtfertigt der New Yorker Intendant Peter Gelb einen 100 Millionen-Deal mit Saudi-Arabien. Von 2028 an soll die Met die Wochen im Winter im neuen Royal Diriyah Opera House bei Riad gastieren. Wie moralisch integer ist das Schmetten für die Scheichs? Um die Frage der Moral geht es auch beim eventuellen Neubau der Oper Hamburg. In Sachen Kühne-Bau liegen derweil neue Zahlen vor. Während der umstrittene Mäzen weiterhin 147,5 Millionen geben will, muss die Stadt inzwischen mehr als 250 Millionen eigene Gelder berappen. Kann man da noch von einem Geschenk sprechen? Fun Fact, den Karl-Martin Hentschel für die taz vorgerechnet hat: Würde Kühne ganz normal Steuern in Deutschland zahlen, wären 1,7 Milliarden pro Jahr fällig – also fünfeinhalb Opernhäuser. Jedes Jahr!
Atemlos – die Klassik als Komödie
Thomas Schmidt-Ott war Bankkaufmann, Cellist und ist promovierter Kulturmanager. Er war beim Orchester des Bayerischen Rundfunks und beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin. Als Mitgründer von TUI Cruises prägte er fast fünfzehn Jahre lang als Programmchef die Kultur- und Unterhaltungsangebote der Mein Schiff-Flotte. Nun schreibt er eine Kolumne (Diabolus in Musica) für BackstageClassical. Warum und wen er provozieren will, erzählt er in einem sehr launigen Interview. Und in seinem ersten Text denkt er darüber nach, ob es bald eine Alice Weidel-Oper Unter den Linden geben wird.

Tölzer Knabenchor geht auf Distanz zu Wachner
Letzte Woche hatte ich mich gewundert, dass der Tölzer Knabenchor sich noch nicht zur Festnahme von Dirigent Julian Wachner in den USA geäußert hatte. Ihm wird in den USA unter anderem der Besitz von Kinderpornographie vorgeworfen. Wachner war seit März 2025 für das Bach-Kantaten-Projekt des Chores tätig. Nach den Sommerferien reagierte der Chor nun auf unseren Newsletter: »Wir haben sofort jeglichen Kontakt zu ihm eingestellt und werden auch in Zukunft keinerlei musikalische Zusammenarbeit mehr mit Julian Wachner pflegen«, heißt es in einer Erklärung. »Bei allen Proben, Aufnahmen, Auftritten (inkl. der Pausen), Reisen etc. werden unsere Chorknaben nie sich selbst überlassen«. Der Chor habe den Familien geraten, sämtliche privaten Kontakte – auch via Social Media – mit Wachner sofort einzustellen.
Personalien der Woche

Kann der Dirigent Andris Nelsons Leipzig noch einmal inspirieren? Das Auslaufen seines Vertrages 2027 wäre eine Chance für Leipzig gewesen, die verworrene (und teure) Klassik-Landschaft von Oper und Gewandhaus mutig neu zu ordnen. Das Orchester hatte auch bereits mit anderen Dirigenten geflirtet, aber nun hat das »Modell Sicherheit« gewonnen. Nelsons bleibt bis 2032, vier Jahre länger als der Intendant Andreas Schulz. Ist das gut? Ein Kommentar. +++ Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO) erhält ab Frühjahr eine neue Managementspitze. Zum 1. April 2026 tritt Tabaré Perlas die Nachfolge von Nikolaus Pont an. Pont verlässt das Orchester nach langjähriger Tätigkeit auf eigenen Wunsch. +++ Letzte Woche haben wir an dieser Stelle auch über die Russland-Auftritte der Sopranistin Aida Garifullina geschrieben. Plötzlich war ihr Name von der Besetzungsliste der Traviata an der Staatsoper unter den Linden verschwunden. Auf Anfrage von BackstageClassical hieß es, Grund sei »eine durch ihr Management verursachte Terminkollision«, die »den Auftritt von Frau Garifullina am 2. und 4.10. bei uns leider unmöglich macht.« +++ Der Dirigent Wen-Pin Chien ist mit der Deutschen Oper am Rhein auf Gastspielreise in Taiwan gewesen – unser Autor Stephan Knies war dabei. +++ Christoph von Dohnányi ist im Alter von 95 Jahren in München gestorben. Geboren 1929 in Berlin, überlebte er den Verlust von Vater und Onkel im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Als GMD in Lübeck, Frankfurt und Hamburg, später in Cleveland und London, formte er Orchester von Weltrang.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Es gibt immer wieder Auftritte, die einem besonders viel Spaß machen. Ich durfte am Wochenende ein solches Konzert moderieren. Für die Bremer Philharmoniker habe ich die Reihe »Meine Playlist« konzipiert: Prominente Gäste dürfen sich das Programm des Abends wünschen. Dieses Mal war der Karikaturist Til Mette mein Gast (es kommen noch Thomas Schaaf, Jan Böhmermann und Govanni di Lorenzo) Tils Wunschliste war wunderbar: Von Hindemiths Ouvertüre zum Fliegenden Holländer, wie sie eine schlechte Kurkapelle morgens um 7 am Brunnen vom Blatt spielt über Raymond Scotts Dinner Music for a Pack of Hungry Cannibals bis zu Mozart Klarinettenkonzert, bei dem die Zeit stehenblieb. Es ist immer wieder ein Erlebnis zu sehen, wie Musik das Leben von uns Menschen begleitet. Aber nehmen Sie sich in Acht vor Nebenwirkungen!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann