Der Schwan ist Zeuge

März 19, 2025
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Katharina WAgners Lohengrin in Barcelona (Foto: Ruano)

Katharina Wagner hat in Barcelona Lohengrin inszeniert – als Krimi. Und der Gralsritter ist der Mörder. Eine Feuiletonumschau.

English summary: Katharina Wagner’s Lohengrin in Barcelona turns the opera into a crime thriller. The Grail Knight is a murderer, haunted by a black swan. Critics praise Miina-Liisa Värelä’s Ortrud, while Josep Pons’ conducting is divisive.

Katharina Wagner hat den Lohengrin in Barcelona gegen den Strich gebürstet: Der Gralsritter erscheint als Mörder, der Plot wird zum Krimi. Einziger Zeuge der Tat ist ein schwarzer Schwan – er wird zum schlechten Gewissen Lohengrins.  Merkur-Redakteur Markus Thiel schreibt in seiner Kritik: »Warum der Titelantiheld mit Frageverboten auf Anonymität besteht, das hat Katharina Wagner offenkundig gefuchst. In vier Stunden zeigt sie die Aufklärung eines Mordes, vorangetrieben ausgerechnet von Ortrud, sonst gern als bizarre, tonkeifende Frau vorgeführt.« Und Eleonore Büning führt unter anderem beim BR aus: »Katharina Wagner hat die Mär vom gottgesandten Supermann, der einfliegt, die pure Unschuld zu retten, vom Kopf auf die Füße gestellt und entideologisiert. Ein Thriller ist daraus geworden, ein Horrorstück.« 

In der Welt interpretiert Manuel Brug: »Katharina Wagner, die bohrend fragt, woher Lohengrin kommt und was er wirklich will, stürzt nicht nur das Denkmal vom unbefleckten Helden. Sie beschmutzt auch den makellosen Rollenruf von Bayreuths blonder Tenorstütze Klaus Florian Vogt, der hier mit Wonne – und zum Kummer so mancher Anhängerin – den machtgierigen Widerling gibt.« Büning fasst die Sängerleistungen so zusammen: »Olafur Sigurdarson ist ein klar artikulierender Telramund und Klaus Florian Vogt, erstmals als krimineller Lumpenkerl-Lohengrin, wieder einmal eine Wucht, absolut gegenwärtig auch in den listig-leisen Passagen. Doch die Schau stiehlt ihm diesmal überraschend seine Gegenspielerin: Miina-Liisa Värelä als Ortrud.« 

Neuer Stimm-Star aus Finnland

Von ihr schwärmt auch Thiel: »Die Finnin, ab Sommer 2026 unter anderem Münchens neue Brünnhilde, ist eine Hochdramatische par excellence. Mit reichem Timbre, müheloser Expansionskraft und, was in diesem Fach weniger häufiger ist, Darstellungslust.« Brug bemerkt, ebenso wie die anderen Kritiker: »Beim eigentlich verlässlichen Günther Groissböck als eher zurückhaltendem König Heinrich ist ein deutlicher Volumenverlust bei eingeschränkter Höhe bedenklich erkennbar.«

Büning findet, »der katalanische Musikchef am Teatre del Liceu, Josep Pons, dirigiert unopernhaft rustikal und über weite Strecken viel zu laut.« Erst am Ende, schreibt Brug, »findet Josep Pons mit seinem Orquestra Simfòniqua del Gran Teatre del Liceu  einen richtig ausbalancierten Wagner-Tonfall, ist nicht, je nach Laune, ohne Folgerichtigkeit mal zu schnell, mal zu langsam. Der reaktionsbereite, gern an der Rampe sich aufbauende Chor gefällt.«

Thiel fasst den Abend, an dem es einige Buhs für die Regie gab, so zusammen: »Nix Romantik, nix Melancholie. Mit der Lust, bei den Werken ihres Uropas wider den Stachel zu löcken, hat Katharina Wagner Barcelona kaum nachlassende Premierenspannung beschert. Und die Buh-Rufer haben den Lohengrin wohl missverstanden. Der bleibt schließlich Wagners erlösungsloses und damit schwärzestes Stück.«

★★★★☆

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