Konzertveranstalterin Sonia Simmenauer und Johannes Everke vom BDKV über neue Konzertformate, Kuschelhormone und massive Verschiebungen auf dem Veranstaltungsmarkt.
English summary: Concert promoters Sonia Simmenauer and Johannes Everke discuss shifts in classical music: live performances now generate most income, while recordings serve marketing. Amid reduced public funding, diverse concert formats and audience engagement gain importance. The new BDKV Bola award honors innovation behind the scenes.
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Der BDKV hat einen neuen Preis ins Leben gerufen: Beim Bola – Best of Live sollen die besten Konzertformate ausgezeichnet werden. Ein guter Anlass, um mit Johannes Everke vom Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV) und der Konzertveranstalterin Sonja Simmenauer über den aktuellen Zustand des Veranstaltungsmarktes in der Klassik zu sprechen. Welche Formate funktionieren besonders gut? Ist ein YouTube Star auch automatisch ein guter Live-Performer? Wie macht sich der Rückzug des Staates aus der Kultur bemerkbar? Und wie sieht das Konzert der Zukunft aus? Hier eine kleine Zusammenfassung des Gespräches:
Podcast-Zusammenfassung
Im BackstageClassical-Podcast beschreiben die beiden zunächst eine schon länger zu beobachtende Verschiebung der Umsatz- und Marktstrategien. Früher lebten viele Klassikkünstlerinnen und Klassikkünstler hauptsächlich von Plattenaufnahmen, dieser Trend hat sich umgekehrt: »Geld wird heute vor allem durch Live-Auftritte verdient, während der Aufnahmemarkt zur Marketingfläche geworden ist«, erklärt Sonja Simmenauer. Sie fügt hinzu, die Aufnahmebranche sei kaum noch eine Einnahmebranche, oft würden Künstlerinnen und Künstler eher in ihre Aufnahmen investieren, statt an ihnen zu verdienen. Johannes Everke bestätigt diese Entwicklung: »Eine große Musikstudie, die wir zusammen mit dem Bundesverband Musikindustrie und weiteren Stellen durchgeführt haben, ergab, dass fast 50 Prozent der Einnahmen von Künstlerinnen und Künstlern aus dem Livegeschäft kommen und nur weniger als fünf Prozent aus dem Bereich Aufnahme und Streaming.«
Herausforderungen und Chancen
Der Marktzugang für Künstlerinnen und Künstler ist durch digitale Plattformen einfacher geworden. Gleichzeitig ist der Künstleraufbau komplexer geworden, da es schwieriger ist, in der Flut von Informationen und Musik hervorzustechen. Everke dazu: »Der Marktzugang war tatsächlich noch nie so einfach wie heute. Täglich werden auf Spotify 120.000 Songs hochgeladen. Doch die Frage, wie wir Künstler aufbauen, ist ein wirklich komplexes Thema geworden, da es schwieriger ist, in diesem ganzen ‚Wust‘ aus Information und Musik durchzudringen.« Das Live-Geschäft gewinnt daher eine »besondere Bedeutung für den Künstleraufbau« und die Publikumsbindung, so Everke, da es viel besser zeigen könne, ob der Funke beim Publikum überspringt, als jede Social-Media-Auswertung.
Sonja Simmenauer zufolge hat Musik durch ihre Allgegenwart an Exklusivität verloren und sei zu einer Art Hintergrundmusik geworden. Sie warnt davor, einen YouTube-Star automatisch für einen Bühnenstar zu halten. Vielmehr würden viele Menschen heute wieder nach »etwas viel Tieferem« suchen, statt kurzlebige »Strohfeuer«.
Publikumsentwicklung und Konzertformate
Das Thema der Publikumsentwicklung (»Audience Development«) ist aktueller denn je. Live-Konzerte sind ein wesentlicher Baustein, um Publikum langfristig zu bilden. Johannes Everke verweist auf eine Studie der Dresdner Musikfestspiele: »Die Dresdner Musikfestspiele haben eine kleine Untersuchung gemacht über den Oxytocinspiegel bei Publikum und bei Musizierenden. Oxytocin ist dieses Kuschelhormon, das in einem Konzert um ein Vielfaches und über 500 Prozent ansteigt, sowohl bei den Musizierenden als auch beim Publikum. Das zeigt ein bisschen, warum so eine Nähe und Intensität bei einem Konzert entsteht.« Dies belege die tiefe Verbindung und Intensität eines Konzerterlebnisses.
Obwohl es einen Trend zu immersiven und virtuellen Erlebnissen gibt, bleibt das analoge und echte Musikerlebnis im Mittelpunkt. Everke betont: »Wenn Corona uns eins gezeigt hat, dann, dass der Sprung ins Digitale nicht funktioniert, jedenfalls nicht das echte Erlebnis ersetzen kann. Das Gegenteil ist der Fall: Je digitaler die Zeiten werden, desto mehr entsteht das Bedürfnis der Menschen nach Gemeinschaft, nach Identifikation, nach echten Erlebnismomenten.« Sonja Simmenauer bestätigt, dass die Heidelberger Frühling Studie zur Konzertentwicklung zeige, dass es »nicht eine Richtung gibt, sondern ganz viele Richtungen«. Es sei gleichermaßen wichtig, traditionelle Rathauskonzerte, Kissenkonzerte, Babykonzerte oder KI-unterstützte Formate zu veranstalten. Aber neben all dem wird das »klassische Konzertformat weiterbestehen«, da das Bedürfnis nach Gemeinschaft und echten Erlebnismomenten in digitalisierten Zeiten wächst. Künftige Veränderungen werden eher die »Ansprüche an das Vermitteln von Musik, an das Erklären und an das Einbeziehen von Publikum« betreffen, um dialogischere Formate zu schaffen.
Staatliche Förderung und private Wirtschaft
Der Rückzug der öffentlichen Hand aus der Kulturförderung ist eine Herausforderung. Sonja Simmenauer sieht darin jedoch auch eine Chance, wenn sie klug genutzt wird. Sie merkt an, dass der Staat im Bereich der Live-Konzerte oft eine Konkurrenz für private Veranstalter war: »Es sind viele Private abgewandt oder haben sich nicht erneuert, weil die öffentliche Hand sich die Künstler leisten konnte, die man sich als Privater nicht mehr leisten konnte.« Johannes Everke betont, dass Deutschland eine fantastische Kulturlandschaft habe, »weil eben die öffentliche Hand sich so stark engagiert und so viele Dinge möglich macht, die von alleine nicht möglich wären.« Der Staat sollte sich nach Ansicht von Everke auf seinen Bildungsauftrag und die Förderung von »besonderen Themen« konzentrieren, die am freien Markt nicht realisierbar wären, um »nicht in Konkurrenz zu privaten Veranstaltern zu treten, die wirtschaftlich tragfähige Projekte anbieten.«
Sonja Simmenauer fügt hinzu, dass der Staat für das »große Universelle« zuständig sei, während der Privatveranstalter das »Persönliche« repräsentiere. Sie warnt, dass das große Universelle in Gefahr geraten könnte, wenn die Unterstützung für wichtige Experimente und nicht-kartenfähige Projekte nicht mehr vorhanden ist.
Neuer BDKV-Preis „Bola – Best of Live“
Der BDKV hat einen neuen Preis namens Bola (Best of Life) ins Leben gerufen, der Menschen hinter der Bühne auszeichnen und ihre herausragenden Leistungen in Innovation und Haltung würdigen soll. Johannes Everke erläutert: »Es gab das Bedürfnis, die Menschen hinter der Bühne speziell ins Rampenlicht zu holen, nicht unbedingt für die Öffentlichkeit, sondern für uns selbst. Wir wollen Leuchttürme und Beispiele sichtbar machen.« Sonja Simmenauer, Vorsitzende der Jury, unterstreicht die Bedeutung des Preises: »Ich finde diesen Preis ganz, ganz wichtig innerhalb des Verbandes. Es ist ja viel mehr ein interner Preis als eine große Veranstaltung. Es ist ein Respektpreis, der mit Geld nichts zu tun hat, sondern mit gegenseitigem Respekt und zwar über die ganze Spannbreite des Verbandes.«
Sonja Simmenauer blickt optimistisch in die Zukunft: »Als ich angefangen habe in dieser Branche, und das ist fast ein halbes Jahrhundert her, tönten alle vom Tod der klassischen Musik, und bis jetzt ist sie nicht tot und sie wird auch nicht tot sein.« Sie hofft, dass »niedrigschwellige Möglichkeiten« Menschen, die sich nicht schämen müssen, über klassische Musik nichts zu wissen, für tiefere Konzerterlebnisse begeistern können. Das Wesentliche bleibe »ein attraktiver Moment des Nachdenkens und Miteinanderseins«.
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