Das Ende der Kultur, wie die AfD es plant

Juni 2, 2024
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Szene aus „Fear“ an der Berliner Schaubühne (Foto: Schaubühne, DRAMA-berlin)

Das Kulturprogramm der AfD ist eindeutig: Staatliche Förderungen sollen radikal gekürzt werden. Kultur nur unterstützt, wenn sie den Menschen auch gefällt – und: wenn sie die Heimat stärkt. Eine Spurensuche.

Hans-Thomas Tillschneider zeigt sich gern in Loden und jägergrünem Schlips, und im Landtag von Sachsen-Anhalt bevorzugt der kulturpolitische Sprecher der AfD die Tonart »hemdsärmlig«. Während einer Landtagsdebatte über die Legalisierung von Marihuana sagte Tillschneider: »Bier gehört zu Deutschland«, und unterzog die Betäubungsmittel einem spontanen Einwanderungstest: »Die Orient-Droge Cannabis macht schlapp und träge – ein Drogen-Einwanderer! Den wollen wir hier nicht haben! Aber Bier gehört hierher. Und das ist auch gut so.« In solchen Bierzelt-Momenten fällt es schwer, die Kulturpolitik der AfD ernst zu nehmen.

Seit Jahren verteidigt Tillschneider mit derbem Vokabular das Recht der Wutbürger auf deutsches Bier, auf »Z.-Schnitzel« und »N.-Küsse«. Kultur, so könnte man meinen, bedeutet für ihn weniger Goethe, Schiller und Beethoven als Trachtengruppe und rechtes Tschingderassabum. Tillschneider ist so etwas wie der knurrende Kultur-Bauch seiner Partei.

Peter Sloterdijks Jünger

Der kulturpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Marc Jongen, verkörpert das Gegenmodell. Er scheint sich als Gehirn seiner Partei zu verstehen. Jongen ist grau meliert, inszeniert sich gern mit gut geschnittenen Anzügen, pflegt eine geschliffene Rhetorik, operiert aber ebenfalls am rechten Flügel der Partei. Ursprünglich stammt er aus Südtirol, erhielt die deutsche Staatsbürgerschaft erst 2011. Er studierte Indologie und Philosophie in Wien, später in Karlsruhe. Er promovierte über Tradition und Wahrheit im transhistorischen Äon und nennt seinen Ziehvater Peter Sloterdijk ein „Medium des Weltgeists“ in einer Zeit des „Weltalter-Wechsels“. Jongen bereitet den Zeitenwechsel nach der Machtübernahme der AfD intellektuell vor.

Jongen und Tillschneider wirken auf den ersten Blick wie zwei Wesen von unterschiedlichen Kultur-Planeten, aber sie sind fest durch die Kernpunkte der Kulturpolitik der AfD vereint. Beide pflegen ein nationalistisches Weltbild, einen radikalen Geschichtsrevisionismus, und vor allen Dingen verstehen sie Kultur als Distinktionsmerkmal des Deutschseins. Während Tillschneider das Blut und den Schweiß in seinem Kulturbild aufkocht, drückt Jongen auf die nationale Tränendrüse im Angesicht der derzeitigen Kulturpolitik.

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Nach AfD-Logik kann ein Mensch mit türkischem Migrationshintergrund durchaus Teil der deutschen Volksgemeinschaft werden, wenn er sich zur deutschen „Leitkultur“ bekennt. Was genau diese Kultur ausmacht, abgesehen von ihrer „christlich-abendländischen Tradition“, bleibt allerdings sowohl im AfD-Europa-Programm als auch in den Programmen der Bundes- und der Landesparteien weitgehend undefiniert. Viel mehr als Gemeinplätze wie „Bezug zur Heimat“ oder „ein positives Geschichtsbild“ lässt sich kaum finden. Aber von der Kultur sollen eine „Renationalisierung“ und eine „Schärfung des Bewusstseins des deutschen Volkes“ ausgehen.

Meister der Feindbildmarkierung

Der Journalist Peter Laudenbach wirbt in seinem Buch Volkstheater. Der Rechte Angriff auf die Kunstfreiheit schon länger dafür, die Kulturpolitik der AfD nicht zu unterschätzen. Kultur sei für die Partei eine Möglichkeit, die „Neue Rechte“ mit der „rohen Bürgerlichkeit“ zu verbinden, also den Intellekt mit der Gewalt gegen den Staat und seine Institutionen. Laudenbach hat unzählige Einschüchterungsversuche dokumentiert: Im thüringischen Altenburg rief die AfD zum Boykott des Stadttheaters auf, in Berlin forderte die AfD-Fraktion die Kürzung von Zuwendungen für das Deutsche Theater, und der Intendant des Friedrichstadt-Palasts bekam nach AfD-Hetze 600 Hassmails und Hassbriefe frei Haus.

Volkspartei vs. Systempartei?

So wie die AfD sich als „Volkspartei“ definiert und die politische Konkurrenz als „Systemparteien“, wird auch die „Volkskultur“ zum natürlichen Gegenpol der staatlich geförderten „Systemkultur“ erhoben. Es ist also nur konsequent, dass die AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt fordert, staatliche Theater-Zuschüsse zu halbieren. Die Partei argumentiert dabei so: Man würde „kaum deutsche Theaterstücke“ spielen und die Spielpläne seien „politisch höchst einseitig orientiert“.

Hans-Thomas Tillschneider ist ein Meister dieser kulturellen Feindbild-Markierung, eine Art deutscher Wolf im Lodenmantel. Staatlich unterstützte Kulturschaffende definiert er in Anlehnung an Karl Marx als „Lumpenproletariat an Möchtegern-Künstlern“, die „eine Kunst produzieren, für die sich niemand wirklich interessiert“, und plädiert stattdessen für eine Kunst, die sich selbst trägt und „ihr Publikum findet“. So wie die AfD in ihren Tiktok-Auftritten keine Angst vor Hässlichkeit zeigt, hat sie auf dem Feld der Kultur keine Scheu, die Masse als einzigen Maßstab zu definieren statt Niveau oder Qualität.

Im kulturellen Kern sind sich Tillschneider und Jongen einig. Beide fordern eine Reduzierung der staatlichen Zuschüsse für deutsche Theater und die Abschaffung des weltweit einmaligen, staatlich subventionierten Kulturbetriebs, wie wir ihn kennen. Jongen argumentiert: Deutsche Bühnen würden sich zu sehr „an den zwölf Jahren des Dritten Reichs“ abarbeiten.

Damit nimmt der kulturpolitische Sprecher im Bundestag ein wesentliches Thema der AfD-Programme auf. Die Partei fordert ein „positives Deutschlandbild in der Kultur“. Statt die Nazi-Schuld zu thematisieren, will man den Fokus lieber auf den Widerstand der Wehrmachtsoffiziere legen, und statt einer Kolonialismus-Debatte (mit eventuellen Restitutions-Ansprüchen) soll das alte Preußen- und Bismarck-Bild gefeiert werden. Außerdem plädiert die Partei für den Erhalt oder Wiederaufbau historischer Bauten in deutschen Innenstädten. Die AfD kritisiert das sogenannte „Regietheater“, attackiert Produktionen und partizipative Projekte mit und über Geflüchtete sowie Theaterabende, die sich kritisch mit der AfD selbst auseinandersetzen. Forderungen nach Nachhaltigkeit, Gender-Gerechtigkeit oder Regeln für Führungskultur im Kulturbetrieb hält die Partei für politische Einflussnahme auf die Kulturfreiheit.

Mehr Politik in der Kultur geht nicht

Den Regierungsparteien wirft die AfD vor, den Kulturschaffenden ihre politische Agenda aufzuzwängen: Energiewende, Zuwanderung, Feminismus oder Diversität. Im Bundestag erklärte Marc Jongen, dass Claudia Roth eine „verordnete Staatskunst“ betreibe. Hans-Thomas Tillschneider spricht gern von einem „gleichgeschalteten“ Kulturbetrieb, der ihn an die totalitären Zustände der „DDR“ erinnere, und behauptet zugleich, dass die AfD staatliche Einflussnahme und die Politisierung der Kultur ablehne. Tatsächlich aber hat Kultur in den Programmen der AfD einen eindeutig politischen und gesellschaftlichen Auftrag. Sie soll in einem von der AfD geführten Land jener Ort werden, an dem sich die Gretchenfrage nach dem Deutschsein definiert. Die Partei, die derzeit einen „gleichgeschalteten Kulturbetrieb“ in Deutschland ausmacht, fordert im gleichen Atemzug, dass die individuelle Positionierung jedes einzelnen in Deutschland lebenden Menschen zur von der AfD definierten „Leitkultur“ darüber entscheiden soll, ob er Teil der deutschen Volksgemeinschaft ist oder nicht. Und was diese „Leitkultur“ ist, das bestimmt natürlich: die AfD. Mehr Politik in der Kultur geht nicht.

Es ist auffällig, wie wenig profilierte Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker die AfD hat, obwohl Kultur eines ihrer Hauptanliegen ist. Neben Tillschneider und Jongen ist der kulturpolitische Input der AfD in den Parlamenten eher marginal. Weder Björn Höcke noch Alice Weidel sind bislang durch kulturprogrammatische Reden aufgefallen. Selbst ehemalige Künstler in den Reihen der Partei wie der einstige Cellist des Leipziger Streichquartetts Matthias Moosdorf nutzen das Parlament eher für außenpolitische Reden als für Kulturbeiträge. Immerhin trat Moosdorf im letzten Jahr noch für zwei Konzerte in Russland auf und sprach sich gleichzeitig gegen europäische Russland-Boykotte aus.

Noch ist die Kultur eine Nische in der Partei

Noch scheint die Kulturpolitik der AfD eine politische Nische zu sein, in der sich weitgehend uncharismatische Figuren tummeln. Aber in der Kultur werden die großen politischen Linien der AfD konsequent ausdekliniert, dabei werden Bauch und Kopf der Partei durchaus in Einklang gehalten. Und so finden immer neue, öffentlichkeitswirksame Feindmarkierungen statt, die vor allen Dingen ein Ziel haben: gesellschaftlichen und kulturellen Unfrieden stiften und die deutsche Debattenkultur durch Umdeutungen vergiften. Perspektivisch ist die Kultur eine wichtige Konstante für die AfD, auch weil hier über die Frage entschieden wird, was deutsch ist und wer in Zukunft als Deutscher in Deutschland erwünscht sein wird – und wer nicht.

Der Artikel erschien zunächst in Der Freitag

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Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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