»Wir sind eine relevante Minderheit«

Juni 9, 2025
2 mins read
Der Intendant der Oper Dortmund: Heribert Germeshausen (Foto: Oper Dortmund, Hickmann)

Die Oper Dortmund setzt auf Bürgerbeteiligung und Identität in Konkurrenz zum Konzerthaus – Ein Gespräch mit Intendant Herbert Germeshausen.

Hier für alle Player und für applePodcast

English summary: Heribert Germeshausen, director of Oper Dortmund, aims to anchor the opera more deeply in local society while maintaining its national prominence. The program mixes classic works with fresh, accessible productions. Initiatives like the Junge Oper and citizen projects promote participation. The house rejects elitism, embracing a democratic, inclusive approach to opera.

Dortmund (BC) – Heribert Germeshausen, Intendant der Oper Dortmund, verfolgt das ambitionierte Ziel, sein Opernhaus »deutlich breiter und tiefer in der Stadtgesellschaft als bisher zu verankern«, während es gleichzeitig ein »überregionaler Leuchtturm« bleiben soll. Das ist auch deshalb eine große Herausforderung, weil es in der Stadt ein»klassisch tragendes Bürgertum kaum gebe« und ein »neues Publikum ohne große Opernerfahrung begeistert werden« müsse, sagt Germeshausen im Guten-Morgen-Podcast von BackstageClassical.

Die erste Spielzeit plante Germeshausen als »komplette Umarmungsstrategie«. Das Programm ist seither zweigeteilt: Drei von sieben Neuproduktionen bedienen das »klassische Bildungsbürgertum« und ziehen teils internationales Publikum an, etwa mit dem Wagnerkosmos. Die vier weiteren Produktionen bieten »Mainstream-Repertoire«, das »unverstaubt und frisch inszeniert ist« und ein neues Publikum anziehen soll, darunter Werke wie Zauberflöte, La Traviata und professionelle Musicalproduktionen.

Junge Oper

Ein Kernstück dieser Öffnung sei die Junge Oper mit einem eigenen Ensemble aus theaterpädagogisch geschulten Sängern und einem Hauskomponisten, die mit ihren A-capella-Opern 40 Partnerschulen besucht und »eine sehr große Neugierde und Offenheit« in der Stadt erzeugt hat. Ein wichtiges Standbein ist auch die »Bürger:innenoper«, die es jedem Interessierten erlaubt, »an der Kreation eines Musiktheaterstückes« teilzunehmen – »ohne Vorsingen«.

Das Opernhaus versteht sich als »demokratisches Opernhaus« und verzichtet bewusst auf eine VIP-Lounge oder einen Opernball, da dies »komplett gegen das, was wir hier für ein neues Publikum zu gewinnen« geht, erklärt Germeshausen. Ziel sei es, eine »relevante Minderheit« in der Gesellschaft zu sein und »der Spiegel einer Stadtgesellschaft« zu werden.

Umfeld Konzerthaus

Die Oper Dortmund muss sich zudem in einem Umfeld behaupten, in dem ein Konzerthaus mit »neuem Glanz, moderner Technik und allerhand Weltstars« dem Haus Konkurrenz mache. Das Konzerthaus wurde zu einer Zeit eröffnet, als das Opernhaus »auslastungsmäßig in der Krise war«, und entstand aus bürgerlichem Engagement. Germeshausen berichtet, dass die anfängliche Botschaft lautete: »Das Konzerthaus ist die Nummer eins, und die Oper ist auch ganz nett«.

Die erklärte Absicht des Intendanten war es, diese Wahrnehmung »zu unterlaufen« und die Oper »mindestens auf Augenhöhe« zu positionieren. Das Motto We do Opera unterstreicht, dass das Haus mit Dortmunder Künstlern, die auch Weltstars sind, ein »kulturelles Aushängeschild von Dortmund in die Welt hinaus« ist. Er grenzt sich bewusst von einer »Glamour Welt der Klassik« ab. Mittlerweile habe man einen »sehr guten […] Ausgleich mit dem Konzerthaus gefunden«, da man erkenne, dass »ganz andere Prinzipien« am Werk seien.

Trotz knapper Kassen kann die Oper Dortmund ihr aktuelles Niveau bis 2028 halten, dank höherer Einnahmen und Koproduktionen. Die Oper kämpft aktiv darum, Menschen zu erreichen und zu begeistern, die noch nicht wissen, »was sie verpassen«.

Transparenzhinweis: BackstageClassical wurde von der Oper Dortmund eingeladen

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

Fördern

Artikel auf BackstageClassical sind kostenlos. Wir freuen uns, wenn Sie unabhängigen Klassik-Journalismus fördern.

Mehr aktuelle Artikel

Diese Schiffsfahrt war nicht lustig

Kassel feiert sich und sein opulente neue Ersatzspielstätte. Die Eröffnungspremiere »Aida« geriet allerdings zu einem unsortierten Wirrwarr, wie Johannes Mundry berichtet.

Überspannt der Artenschutz den Bogen?

Geigenbauer und Musiker schlagen Alarm: Der geplante Hochschutz für brasilianisches Fernambukholz könnte das Handwerk und den Handel mit historischen Bögen dramatisch verändern. 

Lieber Wolfram Weimer,

Sie waren selber Pressemann: Springer-Chef, Cicero-Erfinder und sind – noch immer – mit gescheitelten 50 Prozent: Inhaber der Weimer Media Group! Jetzt sind Sie Politiker.  Um so dringender müssen wir Mal über den

Lieber Klaus-Michael Kühne,

Sie haben vor einiger Zeit einen hübschen neuen Firmensitz in meiner Heimatstadt Bremen gebaut. Blick auf die Weser. Innenstadtlage. Nur eines fehlt: Ein Mahnmahl vor Ihrem Prunkbau. Ihre Spedition ist  reich geworden,

Niemand Schuld in Essen

In einer Pressemitteilung erklären nun auch die Essener Philharmoniker, dass Sie keine Schuld an der Absage des Violinkonzertes von Clara Iannotta haben.

Lieber Kirill Petrenko,

normalerweise höre ich beim Joggen Podcasts: Apolkalypse & Filterkaffee, Pod Save America oder Ronzheimer. Um zu wissen, was läuft ist in der Welt. Aber als ich mir neulich die Schuhe gebunden habe,

Verpassen Sie nicht ...