Die Neuerfindung des Kunstliedes

Mai 22, 2025
3 mins read
Nishad Pandey & Arko Mukhaerjee Aus Indien bewerben sich um den Publikumspreis

Klassik trifft Clubsound, Schubert auf Synthesizer: Der »Art Song Challenge« ist ein Ein »Eurovision Song Contest der Klassik«. So bringt das Festival LIEDBasel frischen Wind in den Liedgesang.

English summary: The Art Song Challenge (ASC), dubbed a “Eurovision for classical music,” blends art song with electronic sounds, as in Marie Gerhardine Iguchi’s synth-infused Wagner piece. Hosted by LIEDBasel, ASC promotes diversity and cultural crossover in classical song. Winners earn concert gigs; ASC aims to modernize the genre and reach wider audiences, inspired by the ESC’s inclusive spirit.

Ein Knistern, aus dem sich allmählich ein gebrochener, pulsierender Akkord schält. »Sag, welch wunderbare Träume halten meinen Sinn umfangen«, singt Marie Gerhardine Iguchi mit eindringlicher Stimme – den Synthesizer auf dem Schoß. Richard Wagners Wesendonck-Lied Träume erhält ein ganz neues Gewand: Klassik meets Elektronik. Bislang hat die Opernsängerin ihre beiden musikalischen Leidenschaften getrennt ausgelebt. In Träume schafft Gerda, wie sich die Sängerin bei diesem Projekt nennt, eine Synthese. Mit einem Video davon hat sie sich beim neu ins Leben gerufen Art Song Challenge (ASC) beworben. »Ein Song ist ein Leben – zu genießen, solange es währt, und für seine Endlichkeit zu schätzen«, schreibt Iguchi dazu. 

Der Art Song Challenge (ASC) heißt nicht zufällig so ähnlich wie der Eurovision Song Contest (ESC), der gerade in Basel die Stadt elektrisiert. Silke Gäng, Mezzosopranistin und künstlerische Leiterin des Festivals LIEDBasel, war schon immer von der Diversität und Internationalität des ESC begeistert. Und überlegte sich, was sie vom ESC übernehmen könnte, um den klassischen Liedgesang ein wenig aufzupeppen und einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. »Das ESC-Motto ‚United by music‘ spricht auch mich unmittelbar an«, sagt Gäng. »Wir möchten mit unserem neuen Liedwettbewerb niederschwellig jungen Sängerinnen und Sängern eine Bühne geben und sie dazu animieren, auch andere musikalische Traditionen mit einzubeziehen«“

Der Preis: Ein Konzertengagement

Ähnlich wie der ESC animiert der ASC dazu, in der Sprache des Heimatlandes zu singen. Ziel sei es, die Liedprogramme vielseitiger und kulturübergreifender zu machen. Und auch die strenge Form von Liederabenden zu überdenken. Um die internationale Ausrichtung zu betonen, hat sich LIEDBasel für diesen Wettbewerb mit anderen Liedfestivals in Deutschland (Liedstadt, Heidelberger Frühling), Spanien (Schubertiada) und England (Leeds Lieder) zusammengetan. 130 Einreichungen aus 29 Ländern lautet die Bilanz des ersten, besonders auf Social Media beworbenen ASC. Die Künstlerinnen und Künstler der fünf ausgewählten Beiträge erhalten ein Konzertengagement bei einem der Festivals. Der online gewählte Publikumspreis ist mit 1000 Euro dotiert. 

Dass Liederabende frischen Wind aus der Popwelt gut gebrauchen können, ist unbestritten. Aber wie sieht es in Basel mit anderen Veranstaltern der sogenannten Hochkultur aus? Das Sinfonieorchester Basel hat nicht nur mit dem Konzert »Symphonic Games«, das Soundtracks aus Videogames präsentierte, im Rahmen des ESC-Begleitprogramms gespielt, sondern war am »Klassik & Crossover Day« auch mit einem Schlagzeugensemble auf der Open-Air-Bühne am Barfüßerplatz zu hören. »Offenheit gegenüber verschiedenen Stilen und neuen Impulsen ist Teil unserer künstlerischen Haltung«, sagt Elisa Bonomi, Pressesprecherin des Sinfonieorchesters Basel. Und verweist auf frühere gemeinsame Auftritte mit der ESC-Teilnehmerin Anna Rosinelli und einen kommenden mit dem Schweizer Popsänger Ritschi

Das Theater Basel hat während des Eurovision Song Contests auf dem Theaterplatz direkt neben der offiziellen Partymeile mit dem POPup TEAclub »Refugium der Entspannung« mit kostenlosem Tee geschaffen, mit Pflanzen und nachhaltigen Sofas aus Strohballen. Eigene Veranstaltungen zum Thema ESC waren nicht geplant. Aber mit Produktionen wie dem technounterlegten Es wär so schade wenn du das verpasst oder Herbert Grönemeyers Musical Pferd frisst Hut finden immer wieder popkulturell gefärbte Projekte in den normalen Spielplan. »Die strikte Unterscheidung zwischen Pop- und Hochkultur gehört längst der Vergangenheit an«, lautet das Statement des Theaters Basel.

Das klassische Lied wird Pop

Für die Basel Sinfonietta war es wegen der eigenen langfristigen Programmplanung nicht möglich, noch auf den ESC-Zug aufzuspringen. »Inklusion, Subkulturen sowie Empowerment, besonders für marginalisierte Gruppen, sind Themen, die die Basel Sinfonietta immer wieder aufgreift«, sagt Geschäftsführerin Daniela Martin. Der ESC biete viel Inspiration in Sachen visueller Inszenierung, Social Media und Stärkung der Community, so Martin. Und betont, dass sich das Neue-Musik-Ensemble durchaus auch in popmusikalischen Kontexten bewege, wie vergangene Zusammenarbeiten mit dem DJ Janiv Oron, der afrikanischen Popband Burkina Electric oder der NDR Bigband zeigten. 

Eher nach Pop klingen auch die ausgewählten ASC-Beiträge Schaun des österreichischen Duos Lena Kuchling und Bernhard Höchtel und Aam Paka von Nishad Pandey und Arko Mukhaerjee, bei dem ein traditionelles bengalesisches Volkslied auf eine E-Gitarre trifft. Auch der letzte Teil von Franz Schuberts Leiermann in der faszinierenden, zweistimmigen Version der Lettin Katrina Paula Felsberga und der Französin Justine Eckhaut verlässt den klassischen Gesang. In Zukunft möchte Silke Gäng gerne den Art Song Challenge live vor Publikum stattfinden lassen. Und dabei wie der ESC jedes Jahr den Ort wechseln innerhalb der vernetzten Festivals. United by Music nicht nur digital, sondern in echt. Das wär was.  

Die Preisträger werden im Laufe der Woche bekannt gegeben

Georg Rudiger

Georg Rudiger hat Musikwissenschaft, Geschichte und Germanistik in Freiburg und Wien studiert. Er beobachtet von Freiburg aus das Musikleben im Südwesten Deutschlands, der Schweiz und dem Elsass - als fester Freier für die Badische Zeitung, überregional u.a. für die Neue Zürcher Zeitung, neue musikzeitung und Der Tagesspiegel. Er ist bei wichtigen Musikfestivals und Opernpremieren (Jurymitglied der Opernwelt), gelegentlich auch Rock- und Jazzkonzerten.

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