Daniel Harding dirigierte den Auftakt zum ersten Ring des Nibelungen in Rom seit 60 Jahren. Ein rauschhafter Abend, wie Philipp von Studnitz berichtet.
English summary: Daniel Harding opened Rome’s first Ring in 60 years with a vibrant Walküre. A bold staging, strong cast, and Harding’s masterful conducting made it a thrilling, triumphant night for Wagner in Italy.
Italien ist das Land, in dem die Oper erfunden wurde. Umso erstaunlicher, dass die Kulturnation in Sachen Musiktheater schon lange aus dem Fokus der Feuilletons gerückt ist: Wann haben Sie das letzte Mal etwas über eine bedeutende Produktion der Oper in Rom gelesen? Klar, es gibt die Scala in Mailand und San Carlo in Neapel. In der Hauptstadt hält immerhin die Accademia Santa Cecilia die Fahne hoch. Eine Orchester-Institution mit Weltrang, die seit einem Jahr einen neuen Musikdirektor an der Spitze hat: Den Dirigenten Daniel Harding. Für seine zweite Saison-Eröffnung hatten er und die Intendanz unter Massimo Biscardi sich etwas ganz besonderes ausgedacht: den ersten Ring des Nibelungen in Rom seit über 60 Jahren!
Dafür wurde sogar der Konzertsaal der Accademia (ein Renzo Piano-Bau vom Anfang des Jahrtausends) zum ersten Mal mit einem Bühnenbild versehen und eine »echte« Inszenierung aufgeführt. Den Auftakt bildete die Walküre mit drei Aufführungen. Im nächsten Herbst soll Siegfried folgen, im Jahr darauf dann Götterdämmerung und 2028 der gesamte Zyklus und damit auch zum ersten Mal das Rheingold.
Das ganze sei »ein großes Abenteuer«, wie der zweite künstlerische Direktor Mauro Bucarelli im Gespräch sagt. Die Premiere fand nicht nur vor römischen Stamm-Abonnenten statt, sondern auch vor Wagner-Pilgern aus der ganzen Welt – darunter zum Beispiel Komponisten-Urenkelin und Festspielleiterin Katharina Wagner.
Das Risiko gab den Veranstaltern Recht. Der Abend wurde zu einem bemerkenswerten Ereignis! Ein architektonisch reduziertes Bühnenbild von Pierre Yovanovitch (Licht: Christophe Forey) als göttlich inspirierte Mischung aus griechischem Tempel mit Treppenaufgängen, ägyptischen Hieroglyphen, Säulenresten und einem Sarkophag aus Etrusker-Zeiten. Wotan war ein bisschen Zeus, die wölfische Wälsungen-Pflegemutter gespiegelt als Säugerin von Romulus und Remus und Goldenes Kalb, Fricka natürlich Juno/Hera, aber gleichzeitig als schräge Opernlegende Florence Foster Jenkins gekleidet (Kostüme: Edoardo Russo).
Feinfühlig inszenierte Regisseur und Chéreau-Sellars-Adlatus Vincent Huguet eine Besetzung von Sängerinnen und Sängern, für die sich der Besuch lohnte. Michael Volle als gewohnt brillanter, textverständlicher und schauspielerisch starker Wotan. Okka von der Damerau als makellose, zutiefst präsente Fricka. Sieglinde und Brünnhilde waren durch Vida Miknevičiūtė und Miina-Liisa Värelä mit zwei führenden dramatischen Sopranistinnen besetzt, und Stephen Milling trumpfte als kraftvoll polternder Hunding auf. Als eine Art Gimmick besetzte man Jamez McCorkle als Siegmund, was rein fachlich sicherlich eine Fehlbesetzung ist: Mc Corkle ist ein lyrischer Nicht-Wagner-(Bari)Tenor, der auch physisch-technisch an seine Grenzen kommt und schließlich auch heiser wurde. Und dennoch schaffte er es zu begeistern und rührte gerade durch seine Brüchigkeit zu Tränen. Seine Wälse-Rufe im ersten Aufzug feierten keinen heldischen Triumph, waren vielmehr ein am Leben leidender Klageschrei. Ebenso sein Ein Schwert verhieß mir der Vater, das tiefe Traurigkeit und menschlichen Schmerz verströmte.
Daniel Harding schwebte über allem und stand mittendrin. Er entwickelte mit seinem Orchester faszinierende Facetten und illustrierte Klangfarben: Von poetischer Liebes-Lyrik im ersten Aufzug über das dramatische Psycho-Ehe-Drama im zweiten bis hin zur schmerzvollen Familientragödie im dritten Aufzug.
Wie Harding Übergänge meistert, originell aber nicht manieriert Tempi variiert und einen gewaltigen, schlüssigen Zusammenhang über viereinhalb Stunden kreiert, ist eine olympische Sternstunden-Leistung. Bitte, Daniel Harding, dirigieren Sie mehr Wagner – viel mehr Wagner!

