Fledermaus im alkoholfreien Regiegeblubber

Oktober 5, 2025
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Die Fledermaus im Theater an der Wien (Foto: Forster)

Mit Spannung erwartet und einmalig gefloppt: Stefan Herheims Strauss-Operette im Theater an der Wien.  

English summary: Stefan Herheim’s Die Fledermaus at Theater an der Wien, hyped as a Strauss-year highlight, collapses under its own weight. Overloaded with clichés, tired postmodern jokes, Nazi cameos, and dull self-reflection, it turns witless and lifeless. Neither musically nor theatrically does it ever take flight.

Die Fledermaus. In Österreich. Im Strauss-Jahr. Mehr Druck geht nicht. Und Stefan Herheim, Intendant am MusikTheater an der Wien, hat viel nachgedacht. Nach hinten. Nach vorne. Nach oben. Nach unten. In den Spiegel und wieder zurück. Das Ergebnis ist ein Fiasko: Überfrachteter und seelenentleerter war Die Fledermaus  selten zu sehen.      

Versuchen wir die Ideen kurz zu sortieren: Die erste war ein Witz, den Herheim immer wieder in immer neuen, langatmigen Varianten erzählt. Rosalinde und ihr Verehrer Alfred sind Klischee-Opernsänger. Sie singen, wann immer sie irgendein Wort, eine Melodie oder eine Situation assoziieren: Butterfly, Andrea Chenier, Aida, La Traviata, Tristan und Isolde. Hauptsache dramatisch. Hauptsache leidenschaftlich. Hauptsache lächerlich. So wird die Klassik zum sterilen Distinktionsmerkmal für ein Besserwisser-Publikum und die Aufführung zu einer Dauerratesendung: Erkennen Sie die Melodie?  

Glücklich ist, wer vergisst

Der uralte, postmoderne Regie-Eklektizismus-Hut beginnt schon mit dem ersten Ton. Da erklingt die Fidelio-Ouvertüre statt der Fledermaus. Was beide Stücke verbindet: Es kommt ein Gefängnis vor. Was sie unterscheidet? So ziemlich alles andere: Gattenliebe statt doppelter Ehebetrug, politische Freiheitsoper statt Champagner-Delirium mit Schopenhauer-Hintergrund: »Glücklich ist, wer vergisst.« Irgendwann wird auch Herheim seine Dauer-Zitiererei zu langweilig, er verliert sie aus dem Auge und erinnert sich im Finale nicht mehr daran, dass jemand, der Die Fledermaus mit Fidelio beginnt die Fledermaus auch mit der »namenlosen Freude« enden könnte. Aber zu diesem Zeitpunkt hat Herheim uns mit seinem alkoholfreien Regiegeblubber (selbst die Gläser auf der Bühne bleiben leer) eh schon fix und fertig gespielt.

Die Fledermaus im Theater an der Wien (Foto: Forster)

Die zweite Regieidee ist die Auflösung von Zeit und Raum. Das Gefängnis entpuppt sich als Publikumssaal des »Theater an der Wien« (kennen wir von Wernickes Münchner Ring, von Herheims Bayreuther Parsifal und von nebenan in Lotte de Beers jüngster Volksopern-Carmen!). Mal spielt die Handlung heute, Mal kommen Nazis und marschieren am 11. März 1938 in Wien ein (und ja, Nazis auf der Bühne bleiben auch hier ziemlich bemühtes 90er Jahre Regietheater). Über all dem schwebt dann noch Franz Joseph I. als Frosch (Alexander Strobele), der sich (nein, auch das bleibt uns nicht erspart) über das Regiekonzept des »Herrn Direktor« lustig macht. Überhaupt diese unglaublich schlecht geschriebenen, selbtreflexiven Monologe: Sparhaushalt, Kulturkürzungen – wird man doch wohl mal sagen dürfen … Nein, Leute, so wird das nix in den zukünftigen Haushaltsrunden! Schon jetzt ist in der realen Welt von 20 Prozent Einsparungen am Theater an der Wien zu hören. Diese Aufführung hat dem Haus einen zusätzlichen Bärendienst erwiesen. Da hilft es auch nicht, wenn noch kurz das Musical Elisabeth angestimmt wird.

Herheim verliert selber die Lust

Über drei bewegungslose Stunden lang dümpelt diese Fledermaus dahin. Mal wollen uns einige tanzende Strauss-Karikaturen mit Geige wecken (klar, irgendwann tragen sie auch Latex!). Mal verirren sich katholische Geistliche auf die Bühne (warum nur?), und natürlich gibt es auch ein bisschen nackte Haut zu sehen. 

Nach der Pause verliert Herheim offenbar selbst die Lust an seiner eigenen Inszenierung. Keine musikalischen Zitate mehr, auch keine weitere Schiller-Klugscheißerei und keine Modernismen – stattdessen plätschert alles wie in einer unprofessionellen Otto Schenk Inszenierung dahin (nur war Otto Schenk nie unprofessionell, was ihn allerdings nicht vor einem Herheim-Gag schützt).

Mit Spannung erwartet und einmalig gefloppt: Stefan Herheims Strauss-Operette im Theater an der Wien.  

Warum am Ende wieder 2025 ist und die Nazis von 1938 das Gefängnis stürmen, warum Eisenstein erklärt, dass alles seine Inszenierung war und nicht die von Dr. Falke, warum Rosalinde den Betrug ihres Mannes nicht aufdeckt und so gar kein Faden, der einst mühsam ausgelegt wurde wieder aufgenommen wird, erschließt sich dem müden Publikum nicht mehr – und ist dann irgendwie auch egal. 

In all diesem hohlen Aktionismus geht das Ensemble weitgehend unter: Die kaum verständliche Rosalinde von Hulkar Sabirova, die etwas überdimensionierte Adele von Alina Wunderlin, der unscheinbare Orlofsky von Jana Kurucova, selbst Thomas Blondelle als Eisenstein entwickelte nur wenig Charisma. Immerhin weckte uns David Fischer als Alfred mit seinen Tenor-Ballereien immer wieder auf, und Leon Kosavic als Dr. Falke, der als Hitler-Verschnitt auftreten muss, bewahrt immerhin vokale Klasse.   

Vertane Chance

Die Musik hinkt Herheims Aktionismus hinterher: Petr Popelka und die Wiener Symphoniker spielten sich – wie sagt man das, solide? – durch die Partitur, aber es blieb kaum Zeit für Atem, Tempo-Spielereien, für Aufgekratztheiten, ein musikalisches Delirium oder Zeit-Stillstand-Momente. Die derbe Polka funktioniert an diesem Abend besser als die Tempiwechsel in den Walzern. 

Und so war dann auch der Applaus: Einige müde Buhs, endenwollendes Klatschen – all das reichte nicht mal für einen Skandal. Man war einfach nur froh, dass es zu Ende war.   

Was könnte Die Fledermaus uns heute alles erzählen! Vom Eskapismus. Vom Verzeihen. Vom gesellschaftlichen Tanz auf dem politischen Vulkan. Von einer Menschheit am Ende. Von einer Menschheit der Gleichheit. Kaum eine Operette scheint besser in unsere Gegenwart zu passen. Hans Neuenfels inszenierte 2001 seine legendäre Fledermaus am Ende der Salzburger Ära von Gerard Mortier. Auch hier ging es um Nazis, um österreichische Mitläufer, um ein grundlegend unkünstlerisches Kunstverständnis und um die beduselte Geschichtsvergessenheit des Landes. Auch das war Die Fledermaus. Auch das war in Österreich. Auch damals war der Druck groß. Neuenfels Operette hat mit ihren Zähnen dem ganzen Land schmerzhaft in den Hintern gebissen. Herheims Fledermaus hat vor lauter Nachdenken irgendwann ihr Gebiss verloren. 

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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