»Wenn es um Leben und Tod geht, rückt selbst die Kunst in den Hintergrund«

September 4, 2025
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Der Bariton Johannes Martin Kränzle (Foto: AMZ)

Johannes Martin Kränzle hat nach seiner Leukämieerkrankung und vor seiner Stammzellentherapie Schuberts Winterreise aufgenommen – ein Gespräch über Leben und Tod und die Musik.

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Kurz vor der lebensrettenden Therapie nahm er Franz Schuberts Liederzyklus Die Winterreise auf, der nun bei Hänssler Classic erschienen ist. Kränzle, der im Januar eine Stammzelltransplantation erhielt (bereits die zweite in seinem Leben innerhalb von zehn Jahren), beschriebt seine schnelle Rückkehr ins Leben und auf die Bühne im Podcast von BackstageClassical als »ein Wunder«. Nur sieben Monate nach dem Eingriff konnte er wieder ein fast normales Leben führen und kehrte bei den Salzburger Festspielen in Zaide triumphal auf die Opernbühne zurück. »Schöner kann es gar nicht sein, so zurückzukommen und die Stimme hat auch mitgemacht«, freut sich Kränzle im Podcast.

Die Aufnahme der Winterreise entstand unter dem Eindruck seiner erneuten Erkrankung. Der Pianist Hilko Dumno und Kränzle hatten den Zyklus über Jahre hinweg neu durchdrungen und neue Ideen entwickelt. Als die Leukämie diagnostiziert wurde, war klar: »Jetzt muss ich das noch realisieren, bevor es zu spät ist – notfalls auch als Vermächtnis«. 

Axel Brügemann zeigt sich ergriffen von dieser so »gar nicht gefälligen« Aufnahme, die archaisch und bewusst an der Grenze gesungen sei. Kränzle erklärt, er habe eine »direkte Ansprache« und »Unmittelbarkeit« ohne falschen Romantizismus angestrebt. Er sei überzeugt, dass er den Zyklus durch seine Lebenserfahrung und sein langes Sängerleben heute besser singe als vor 20 Jahren, da die Stimme eine »eigene Intelligenz« gewinne. Trotz der Schwere seiner Krankheit und der existenziellen Fragen nach Leben und Tod, die er sich stellen musste, bezeichnet sich der zweifache Vater als »glücklicher Mensch«.

Kränzle möchte durch sein öffentliches Sprechen über die Krankheit anderen schwerstkranken Menschen Mut machen. »Man kann wieder dabei sein, man kann das schaffen und man kann auch anderen sogar Beispiel sein«, erklärte er. Er appellierte zudem an die Öffentlichkeit, sich als Stammzellspender registrieren zu lassen. Ein einfacher Speichelabstrich genüge, um sich anzumelden und potenziell ein Leben zu retten.

Sie wollen sich als Stammzellenspender registrieren? Hier entlang.

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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