Omer Meir Wellber verteidigt den Opernneubau in Hamburg, hofft auf Bewegung im Nahostkonflikt und sieht die künstlerische Kreativität in den USA in Gefahr. Ein Gespräch über Kunst in einer neuen Weltordnung.
English summary: In this podcast, Hamburg State Opera’s Omer Meir Wellber calls for artistic honesty and a shift from a “theater of answers” to a “theater of search.” He critiques US mediocrity and defends Kühne’s funding. On the Middle East, he’s 60% pessimistic, 40% optimistic, urging new solutions while respecting both artists’ speech and silence.
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Der Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper, Omer Meir Wellber, legt im Podcast mit BackstageClassical seine Vision für die Kunst in einer sich radikal wandelnden Welt dar. Wellber betont die Pflicht des Künstlers zur Ehrlichkeit und fordert eine Abkehr vom »Theater der Antwort« hin zu einem »Theater der Suche«. Er äußert sich zudem kritisch zur neuen Mediokrität in der US-Kultur und verteidigt die Annahme von Spendengeldern für den Hamburger Opernneubau durch den umstrittenen Mäzen Klaus-Michael Kühne.
Positionierung im Nahostkonflikt
Wellber bezeichnet die Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre als »extrem groß« und ist heute »zu 60 Prozent pessimistisch, aber zu 40 Prozent optimistisch«. Sein Optimismus speist sich aus der Erkenntnis, dass eine Rückkehr zum früheren, desolaten Zustand unmöglich sei. Es muss weiter gehen – in neue Richtungen. Und das sei erst einmal ein guter Weg: »Es ist eine extrem große Überraschung, was in den letzten zwei Jahren passiert ist. Mein Optimismus rührt daher, dass wir nicht zu dem Status quo zwischen der Hamas und Netanyahu zurückkehren können. Die Zeiten, in denen man irgendwie weitergemacht hat, sind vorbei. Es braucht nun neue Lösungen.« Wellber findet es für Künstler legitim, sich zur aktuellen Situation in Nahost zu äußern – respektiert aber auch das Schweigen.
Legitimation des Opernneubaus in Hamburg
Der Dirigent kritisiert die aktuelle Debatte um die Herkunft der Gelder von Klaus-Michael Kühne für den Opernneubau. Er rät Deutschland zu »relaxen« und kritisiert Bigotterie: »Diese Diskussion ist komplett verrückt und unfair. Es ist bigott, nur hier die Herkunft des Geldes zu hinterfragen, denn wenn wir ehrlich sein wollen, ist nach dem Krieg sehr viel mit Nazi-Geldern aufgebaut worden. Vom gesamten Staat bis zu Unternehmen wie Volkswagen. Aber eine der besten Investitionen für‚unsauberes Geld‘ ist die Kultur an sich, sind Theater und Bildung – nicht Bomben und Panzer.«
Wellber verweist darauf, dass Hamburg nach dem Bau der Elbphilharmonie »eine völlig andere Stadt« geworden sei, was zeige, welche positive Kraft ein neues Gebäude entwickeln könne. Er sieht auch den geplanten Opernneubau als ein Zeichen der Hoffnung.
Erfahrungen in den USA
Wellber beobachtet, dass die Kunstfreiheit und die Kreativität in den USA langsam sterben. Er führt dies auf eine Kultur zurück, in der die Angst vor Konflikten und Anschuldigungen die künstlerische Entwicklung lähmt: »In den USA stirbt langsam jede Form von Kreativität und Kunstfreiheit. Ich habe erlebt, dass ich aus Angst vor Missverständnissen und Anschuldigungen darauf verzichtet habe, einer Flötistin konstruktive Kritik zu geben. Das Ergebnis dieser Politik ist Mediokrität.«
Die Rolle von Kunst und Musik in der Gegenwart
Für Wellber verlagert sich der Fokus künstlerischer Inspiration vom Visionären hin zum aktuellen Geschehen. Angesichts einer Gesellschaft, die in Parallelwelten lebt, sieht er die Aufgabe der Kunst darin, heutige Erzählungen zu schaffen, die wieder Gemeinschaft schaffen können. »Ich persönlich finde meine Inspiration nicht mehr in der Frage nach dem Wohin, sondern nach dem Wo. Unsere Botschaft liegt in der Suche; das Theater der Antwort ist passé.“
Wellber sieht die höchste Aufgabe des Künstlers darin, »sich stets im Raum der Wahrheit zu bewegen, ohne die Wahrheit selbst zu finden.« Der Dirigent verweist auf seinen jüdischen Glauben, in dem der Messias – ähnlich wie in seinem Kunstideal – unerreichbar bleiben muss.
Perspektive für die Musik
Der Dirigent plädiert dafür, dass die musikalische Tradition aktiv gepflegt werden muss: »Wir müssen für die Tradition kämpfen, die wir haben, und diese Tradition muss essen. Wenn sie nur trinkt, ist das sehr gefährlich. Der Text und die Partituren sind nicht heilig; nur die Interpretation ist heilig, da sie der Kompromiss zwischen Text und Menschlichkeit ist.«

