Eine künstlerische Rezension zum Amtsantritt von François-Xavier Roth beim SWR Symphonieorchester
English summary: François-Xavier Roth’s debut with the SWR Symphony in Freiburg contrasted drama and transparency: Rebel’s Les Élémens stunned with raw, standing strings; Berio’s Sinfonia layered voices, Mahler, and politics with precision; Schubert’s C major Symphony surged to a blazing finale. Applause followed, yet Roth’s Stuttgart start drew mixed reactions and criticism over past scandals and SWR’s handling..
Ein erster Klang wie ein Schock. Die mit viel Geräusch gestrichenen Bogenwechsel machen aus dem Cluster eine echte Panikattacke. Der Le Cahos genannte Beginn von Jean-Féry Rebels Orchestersuite Les élémens ist auch noch knapp 300 Jahre nach seiner Entstehung verstörend. François-Xavier Roth lässt die Streicher des SWR-Symphonieorchesters bei seinem Antrittskonzert als Chefdirigent im voll besetzten Freiburger Konzerthaus im Stehen spielen.
Das verstärkt die dramatische Wirkung der Ballettmusik, gefährdet aber auch die Balance, weil die beiden ganz hinten postierten Cembali leider kaum zu hören sind. Auch die Holzbläser dringen bei den Forte-Passagen kaum durch die massive Streicherwand. Der raue, vibratolose Orchesterklang kann aber auch zart werden wie in Rossignols, wo Vogelzwitschern auf duftige Pizzicati trifft. In der Loure II initiiert der Franzose einen intensiven Dialog zwischen den ersten Violinen und den Bratschen. Die musikantisch gespielten »Tambourins« beginnt er selbst mit Trommelschlägen, das Tänzerische arbeitet er auch in der gemächlichen Sicilienne heraus.
Hommage an Martin Luther King
Mit Luciano Berios 1968 komponierter Sinfonia für acht Singstimmen und Orchester hat Roth ein groß besetztes, vielschichtiges Werk programmiert, bei dem auch Solistinnen und Solisten des SWR Vokalensembles an den Stimmführerpulten beteiligt sind (Klangregie: Matthias Schneider-Hollek). Die Texte von Claude Lévi-Strauss im ersten Satz sind in Silben aufgesplittert, die Übergänge zwischen gesungen und gesprochen geraten fließend. Auch im ruhigen, von Akzenten erschütterten O King – eine Hommage an Martin Luther King – agiert das achtköpfige Solistenensemble mit schlackenloser Tongebung und großer Präzision.
Im dritten Satz geistern Passagen aus Gustav Mahlers 2. Sinfonie durch das Orchester, aber auch Motive von Maurice Ravel und Richard Strauss klingen an, während englische Texte, die sich mit den Pariser Studentenunruhen beschäftigen, ohne Punkt und Komma rezitiert werden. In manchen der schneidenden Blecheinwürfe gerät der Tuttiklang zu grell. Die heikle rhythmische Koordination in der Sinfonia gelingt aber ausgezeichnet. Und die verschiedenen Klangschichten erscheinen wie unter dem Mikroskop.
Weniger Effekte
Auch bei Franz Schuberts großer C-Dur-Sinfonie ist diese Transparenz zu hören. Im ersten Satz braucht das Orchester nicht nur wegen des missglückten Horneinsatzes zu Beginn noch ein wenig Zeit, um ins Fließen zu kommen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Teodor Currentzis setzt François-Xavier Roth weniger auf Effekte als auf organische Entwicklungen. Die Schnittstellen und Höhepunkte arbeitet er heraus, ohne dabei zu übertreiben. Die Generalpause nach dem erschütternden Septakkord im zweiten Satz beispielsweise ist zwar auffällig lang, aber nicht manieriert – die anschließende, mit nur wenig Vibrato gespielte Cellokantilene bringt die zerstörte Welt wieder tastend in Ordnung.
Am Eindrucksvollsten gelingt das extrem schnell musizierte Finale. Die Streicher bleiben in den rasenden Sechzehntelketten stabil. Die auch bogentechnisch anspruchsvollen Begleitfiguren haben die notwendige Leichtigkeit. Roth variiert die vielen Wiederholungen und baut einen großen Spannungsbogen auf, der bis zum Ende reicht. Applaus und Bravorufe im Freiburger Konzerthaus. (Georg Rudiger)
KOMMENTAR ZUM AMTSANTRITT
Von Axel Brüggemann
Es war ein verkorkster Einstand für den Dirigenten François-Xavier Roth bei seinem SWR-Antrittskonzert in Stuttgart. Selbst die eigentlich SWR-nahe Journalistin Susanne Benda schrieb in der Stuttgarter Zeitung: »Der Beifall ist verhalten, viele Plätze sind leer (…). Begeisterung geht anders.« Es zeigt sich, dass ein Großteil des Publikums offensichtlich keine Lust auf einen Dirigenten hat, der sich – nach Bekanntwerden von sexuell übergriffigen Nachrichten an Musiker – »einvernehmlich« und mit satter Abfindung vom Gürzenich Orchester trennte, und der als designierter Chef des SWR Symphonieorchesters seither für einen handfesten Richtungsstreit unter den Musikerinnen und Musikern sorgte.
Es ist auch ein Managementfehler der SWR-Leitung, dass sie diesen Konflikt offenbar bis heute nicht eindämmen konnte. Vor genau einem Jahr haben wir an dieser Stelle über das »Gespaltene Orchester« geschrieben, und daran scheint sich bis heute wenig geändert zu haben. Während Programmdirektorin Anke Mai in einer Umbaupause erklärte, wie geeinigt die Musikerinnen und Musiker »nach internem Ringen« nun im Sinne der Musik seien, sah Benda ein anderes Bild: Sie berichtet von geteilter Spielfreude und davon, dass es »durchwegs lächelnde Gesichter nur beim Konzertmeister Christian Ostertag und auch am ersten Pult der zweiten Geigen, bei Michael Dinnebier und Uta Terjung, gab – Mitglieder des ehemaligen Freiburger SWR-Orchesters.« Und SWR-Intendant Kai Gniffke? Der hielt – so Benda – eine »erschreckend unreflektierte« Rede, die von »lauten Buhrufen« begleitet wurde. Schade, dass im SWR-Stream nur der zweite Abend zu sehen ist und nicht Gniffkes Rede. Grundsätzlich macht man im Sender ähnliche Fehler wie schon bei Teodor Currentzis: Mangelnde Transparenz, Ignoranz gegenüber Kritik und die Suggestion nicht vorhandener Einigkeit. Bärendienste für die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und eine Gefahr für den Fortbestand der Radioorchester in Krisenzeiten. (Axel Brüggemann)

