Der NDR verzichtet in Zukunft auf die konservative Moderatorin Julia Ruhs. Thomas Schmidt-Ott erklärt anhand eines Orchesters, warum er das falsch findet.

Im NDR rumort es. Eine Petition macht die Runde: Die Bratschen sollen künftig aus dem Elbphilharmonie-Orchester verbannt werden. Bratschen! Seit Jahrhunderten verschrien als die Diesel unter den Geigen – unkaputtbar, aber eben auch irgendwie, naja, unfein. Man macht Witze über sie, wie Stoiber einst über die Frustrierten, zumindest wenn einem nichts mehr zu den Fagotten einfällt (Wie heißt die Teufelstrillersonate für Bratsche? Für Elise). Jetzt also, im NDR, die Forderung: Schluss mit der Bratscherei! Sie zerstöre die Harmonie, passe nicht ins Klang-, geschweige denn Selbstbild des NDR, beleidige quasi die Ohren. Und das Allerschlimmste: Die Bratschen sitzen rechts vom Dirigenten. Rechts! Das geht in Hamburg ja nun wirklich nicht.
Ein Kompromiss wird vorgeschlagen: Ab sofort nur noch im Bayerischen Rundfunk – da dürfen sie rechts sitzen. Söder kann das ab. Und siehe da: Intendant Hendrik Lünenborg zeigt Rückgrat. Also, sagen wir so: das einer Qualle im Hamburger Hafen. Er knickt ein, erklärt die Elphi zur bratschenfreien Zone und verkauft den Schritt als »mutig«. Kritikerinnen und Kritiker von Union bis Musikverein halten das für einen Offenbarungseid. Der Sprecher der NDR-Bratschen schäumt: »Ich glaube, für den NDR sitzen wir zu weit rechts. Für den BR nicht. Rattle steht hinter uns.« Aber der NDR hält eisern dagegen: »So klingt Vielfalt.«
Kommen wir von Bratschen-Witzen zur Realität: Julia Ruhs. Sie durfte drei Mal die Sendung Klar moderieren – ein Format, das ausdrücklich Vielfalt versprach. Und siehe da: Ruhs brachte Themen, die nicht allen schmeckten. Zack: angeblich 250 Mitarbeiter:innen schreiben Protestbriefe, weil jemand für die Vielfalt tatsächlich Vielfalt wagte. Statt zu sagen: »So läuft das in einer Demokratie, da quietscht es manchmal im Getriebe«, tat der NDR, was er am liebsten tut: Er stellte das Störgeräusch ab. Ruhs abgesetzt, Problem gelöst, und als Stempel drauf: »Stärkung der Meinungsvielfalt.« Das ist so absurd, als würde Lünenborg den Schlagzeuger der NDR-Bigband feuern, um den Groove zu retten.
Natürlich: Niemand will eine Moderatorin, die AfD-Parolen säuselt. Aber Ruhs ist weder Hetzerin noch Extremistin. Sie ist konservativ, unbequem, widerspenstig – also genau das, was eine Sendung Namens Klar klar nötig hat. Doch der NDR versteht Vielfalt so: alles gleich, Hauptsache, niemand fühlt sich unwohl. Dass man Ruhs loswird, weil es in der Belegschaft knarzt, zeigt nur eins: Beim NDR tönt nicht das Orchester der Vielfalt, sondern das Diktat der reinen Dur-Tonleiter.
Musik lebt vom Kontrapunkt. Demokratie auch. Harmonie entsteht erst durch Dissonanz. Wer jede Reibung eliminiert, kriegt am Ende keine Symphonie, sondern einen Jingle. Beethoven wusste das, der NDR nicht. Wer glaubt, Demokratie werde stabiler, wenn man alle missliebigen Stimmen verstummen lässt, hat am Ende kein Orchester mehr, sondern einen Alleinunterhalter in der Hamburger Fußgängerzone. Oder, um’s mit einem letzten Tusch zu sagen: Bratschen und Julia Ruhs, sie leben Hoch! Sie haben etwas gemeinsam: sie sind unverzichtbare Stimmen. Genau deshalb braucht man sie. Nur mit ihnen klingt Vielfalt.

