Nordlicht: Wie Oslo junges Publikum begeistert

April 11, 2024
2 mins read
Das Opernhaus in Oslo in deR Abenddämmerung
Das Opernhaus in Oslo (Foto: Stephan Knies)

In seiner Kolumne Nordlicht schreibt Stephan Knies immer wieder über Eindrücke aus dem Norden – dieses Mal war er in Norwegen.

Artikel hier hören

Dass der Neubau des Opernhauses in Oslo eine gelungene Sache ist, wissen wir spätestens, seit die Bild-Zeitung Angela Merkels weit ausgeschnittenes Kleid 2006 zum Anlass nahm, die Eröffnung interessant zu finden: »Ein begehbares Wahrzeichen«, »Architektur-Gletscher im Fjord« – diese Sachen eben. Aber zwischendurch gab es Querelen und das Schiff drohte Schlagseite zu bekommen. Da hatte man die (offenbar sehr gute) Idee, eine Sängerin mit der Intendanz zu betrauen: Randi Stene.

Es stellt sich hier eine Grundsatzfrage: Ist die Wahl von Sänger:innen als Intendant:innen (sorry, Herr Söder) eigentlich per se eine gute Lösung? Irgendwie hat man das Gefühl, dass Egils Silins in Riga oder Cecilia Bartoli in Salzburg und Monte-Carlo das ganz gut hinkriegen. Oder eben Randi Stene. Wir werden sehen, wie sich Jonas Kaufmann (Erl) und Rolando Villazón (Mozartwoche Salzburg) machen werden. Wissen Sänger zum Beispiel besser, wie man mit Künstlern umgeht, weil sie selbst welche sind?

DIE NORDLICHT-KOLUMNE Natürlich sterben Oper, Theater und Konzerte mit klassischer Musik in Deutschland nicht sofort aus. Vielerorts stehen sie nicht einmal auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Aus dem Norden aber hört man bemerkenswert oft etwas von Theaterneubauten, von Erfolgsmodellen und inspirierenden neuen Formaten. Solche »Nordlicht«-Erfahrungen wird diese Kolumne von Stephan Knies in Zukunft vorstellen.

Zurück nach Oslo: Randi Stene hat ihre aktuelle Spielzeit mit einem Doppel eröffnet, das ich richtig gut fand: Eine teure, opulente Traviata im 1920er-Outfit (die das Geld auf jeden Fall wert war und hoffentlich lange gespielt wird), damit die norwegischen Aficionados auf ihre Kosten kommen. Und dazu die Oper Fram, benannt nach dem Polar-Schiff von Fridtjof Nansen, eine Uraufführung über Demenz in einem realen Osloer Pflegeheim gleichen Namens. Das Libretto: Schön dicht, aber ziemlich sprunghaft gebaut. Die Komposition? Im Haus gab es leises Murren über die Qualität der sehr einfach gestrickten Klänge – in der Fachwelt auch. Und das Publikum? Rannte Fram die Türen ein, die Serie war im Nu ausverkauft. Warum? Weil das Stück relevant ist, uns unmittelbar etwas angeht. Das ist Musiktheater ganz ohne Elfenbeinturm. Viele Tränen sind geflossen, garantiert mehr als bei Violetta Valerys Tod. Und darauf kommt es an.

Thomas de Mallet Burgess,der neue Intendant der Finnischen Nationaloper, sagte mir kürzlich: »Wir brauchen zeitgenössische Werke nicht mit riesigen Erwartungen messen an La Bohème. Wir müssen fragen: Erzählen sie eine eigene Geschichte unserer eigenen Gegenwart? Wenn ja: Lass sie uns spielen.« Recht hat er.

Dieses nordische Doppel aus Fram und Traviata zeigt, was Oper sein soll und kann: heutiges Leben, emotionale Verdichtung unserer täglichen Realität, erfolgreiches Sprachrohr für Tabu-Themen – und Hochkultur, gesellschaftliches Event und alte Opern-Welt. Dirigiert hat mit Anja Bihlmaier übrigens eine großartige Interpretin, die wir hoffentlich bald mal an einem großen Haus auch in Deutschland erleben können.

Ich bin gespannt, wie Sie das kommende Spielzeit toppen wollen, Randi Stene!

Stephan Knies

Stephan Knies ist Dramaturg, Musiker, Librettist und Autor und schnell begeistert von gutem Theater-Handwerk, frischen Ideen und ungewöhnlichen Formaten. Seine Opern-Moderationen, beispielsweise für sein Ensemble »D´Accord« und dessen Wagner-Paraphrasen im Haus Wahnfried in Bayreuth oder in der Hamburger Elbphilharmonie, stoßen beim Publikum auf relativ wenig Ablehnung. Ein Schwerpunkt seiner Reisetätigkeit für Magazine wie die »Opernwelt« ist Nordeuropa – von Riga bis Reykjavik.

Fördern

Artikel auf BackstageClassical sind kostenlos. Wir freuen uns, wenn Sie unabhängigen Klassik-Journalismus fördern.

Mehr aktuelle Artikel

Kollaps der musikalischen Ausbildung in Deutschland

Die neue Studie »MiKADO-Musik« warnt vor einer ernsthaften Krise an Musikschulen in Deutschland und Österreich. Fachleute sprechen von einem drohenden »Kollaps« der musikalischen Bildung, wenn Politik und Träger nicht rasch und koordiniert

Liebes Musikhaus Doblinger,

Du bist es ja eigentlich schon lange nicht mehr, das gute alte Wiener Verlagshaus von 1817! Verlag verkauft! Notengeschäft verscherbelt. Und nun droht auch dem Musikhaus im Ersten Bezirk das Aus: Der

Lieber Florian Lutz,

vielleicht erlauben sie mir unter uns zwei Kneipenbrüdern (war schön damals mit Ihnen nach der Carmen), zu versuchen, Ihnen als Außenstehender mal Ihr Haus zu erklären.   Sie sind Intendant in Kassel.

Liebe Elisabeth Leonskaja,

ich muss noch einmal auf Ihren Auftritt in Moskau zurückkommen. Gerade, weil ich Sie als Künstlerin schätze. Sie haben Anfang des Monats in Russland gespielt, Tickets für Ihr Konzert wurden kostenlos an

Zoff ums Kennedy Center

Ein US-Demokrat wirft den Leiter des Kennedy Center, Richard Grenell, Verfehlungen vor – der weist die Anschuldigungen zurück.

Aber er hat ja gar nichts an! 

Nick Pfefferkorn, Leiter des Verlags Breitkopf & Härtel, hat den Zustand der zeitgenössischen Musik kritisiert. Der folgende Aufschrei zeigt die Fragilität eines Betriebs, der Kritik schnell als Majestätsbeleidigung deutet. Thomas Schmidt-Ott hat

Lieber Thilo Mischke,

gestern Abend habe ich zum Einschlafen den Podcast Hotel Matze mit Ihnen als Gast eingeschaltet. Aber anstatt runter zu kommen, bekam ich Puls. Vergessen wir In 80 Frauen um die Welt und

Plácido Bonnwitschny

Heute mit existenziellen Fragen, ob das Dogma die Kunst tötet, mit Bonner Merkwürdigkeiten und der Frage nach der Legitimation von Radioorchestern.   

Verpassen Sie nicht ...