
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit dem Antrittskonzert von François-Xavier Roth, dem Sinn von Oper in Dresden, der Kultur als Exportschlager und dem Salzburger Flurfunk.
»Begeisterung geht anders«
Es war ein verkorkster Einstand für den Dirigenten François-Xavier Roth bei seinem SWR-Antrittskonzert in Stuttgart. Selbst die eigentlich SWR-nahe Journalistin Susanne Benda schrieb in der Stuttgarter Zeitung: »Der Beifall ist verhalten, viele Plätze sind leer (…). Begeisterung geht anders.« Es zeigt sich, dass ein Großteil des Publikums offensichtlich keine Lust auf einen Dirigenten hat, der sich – nach Bekanntwerden von sexuell übergriffigen Nachrichten an Musiker – »einvernehmlich« und mit satter Abfindung vom Gürzenich Orchester trennte, und der als designierter Chef des SWR Symphonieorchesters seither für einen handfesten Richtungsstreit unter den Musikerinnen und Musikern sorgte.

Es ist auch ein Managementfehler der SWR-Leitung, dass sie diesen Konflikt offenbar bis heute nicht eindämmen konnte. Vor genau einem Jahr haben wir an dieser Stelle über das »Gespaltene Orchester« geschrieben, und daran scheint sich bis heute wenig geändert zu haben. Während Programmdirektorin Anke Mai in einer Umbaupause erklärte, wie geeinigt die Musikerinnen und Musiker »nach internem Ringen« nun im Sinne der Musik seien, sah Benda ein anderes Bild: Sie berichtet von geteilter Spielfreude und davon, dass es »durchwegs lächelnde Gesichter nur beim Konzertmeister Christian Ostertag und auch am ersten Pult der zweiten Geigen, bei Michael Dinnebier und Uta Terjung, gab – Mitglieder des ehemaligen Freiburger SWR-Orchesters.« Und SWR-Intendant Kai Gniffke? Der hielt – so Benda – eine »erschreckend unreflektierte« Rede, die von »lauten Buhrufen« begleitet wurde. Schade, dass im SWR-Stream nur der zweite Abend zu sehen ist und nicht Gniffkes Rede. Grundsätzlich macht man im Sender ähnliche Fehler wie schon bei Teodor Currentzis: Mangelnde Transparenz, Ignoranz gegenüber Kritik und die Suggestion nicht vorhandener Einigkeit. Bärendienste für die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und eine Gefahr für den Fortbestand der Radioorchester in Krisenzeiten. Eine ausführliche musikalische Kritik den Konzertes von Georg Rudiger finden Sie im Laufe des Tages bei BackstageClassical.
Schule der Komplexität
Worin besteht eigentlich der Sinn von Oper? Um nicht weniger geht es in meinem Gespräch mit der Intendantin der Semperoper, Nora Schmid. Schmid will auf den moralischen Zeigefinger verzichten und stattdessen integrativ wirken. Oper ist für sie »ein Ort der Gemeinschaft«, an dem Menschen unterschiedlichster Auffassungen zusammenkommen und anschließend miteinander ins Gespräch treten. Sie sieht die Kunstform als »Schule des Zuhörens und des Zuschauens« und als »gutes Training für Empathie«. Besonders in einer Stadt wie Dresden, in der Montagsdemonstrationen abgehalten werden und die AfD Erfolge feiert, will das Opernhaus ein verbindender Ort sein. Außerdem spricht Schmid über ihren typischen »Schmid-Spielplan«, der sowohl Säulen des Repertoires als auch spannende Entdeckungen nebeneinander stellt – alles gestemmt von einem Ensemble, das sich dem Haus gegenüber verbunden zeigt. Das Programm reicht vom Barock bis zur Moderne. Die aktuelle Spielzeit eröffnet Daniele Gatti mit Verdis Falstaff, es geht weiter mit Poulencs Dialogues des Carmélites, Wagners Parsifal und der zeitgenössischen Oper The Snow Queen von Abrahamsen.

Halbierter Musikunterricht
Bayern hat die Stundentafel für Grundschulen geändert – zum Nachteil der musisch-künstlerischen Fächer. In den dritten und vierten Klassen stehen für Kunst, Musik und Werken zusammen nur noch vier statt zuvor fünf Wochenstunden zur Verfügung. Der Bayerische Musikrat spricht von einer deutlichen Verschlechterung: In rund 80 Prozent der Grundschulen habe sich der Musikunterricht nahezu halbiert, sagte Präsident Bernd Sibler dem Bayerischen Rundfunk. Ein weiterer Schritt bergab: An Grundschulen in Deutschland fehlen rund 23.000 ausgebildete Musiklehrkräfte. Schon jetzt kann bundesweit nur etwa 43 Prozent des vorgeschriebenen Musikunterrichts von qualifizierten Fachkräften erteilt werden.
Kultur als Rohstoff
Nachdem Manuel Brug vor einigen Tagen in der Welt über die Auslandsgeschäfte westlicher Kulturinstitutionen berichtet hat (Nikolaus Bachlers Salzburger Osterfestspiele gehen nach Katar, Peter Gelbs Met nach Saudi-Arabien), fragt Antonia Munding bei BackstageClassical nach der Motivation und nach der grundsätzlichen kulturellen Moral. »Kultur ist unser wertvollster Rohstoff« schreibt sie, es darf nicht sein, dass unsere Kulturinstitutionen ihn für ein paar Dollar verscherbeln, weil ihnen bei uns zu Hause die Finanzen gestrichen werden. Ist die kulturelle Shoppingtour undemokratischer Nationen auch ein Ergebnis davon, dass wir selber unsere Kultur nicht mehr genug wertschätzen? Lesen sie ihre Gedanken hier.
All You Need is Lahav

Was für eine Aufregung war das rund um die Ausladung beim Flandern Festival von Lahav Shani! Inzwischen hat der Dirigent sogar ein Statement abgegeben: Er erklärte, »am 7. Oktober 2023 erlebte Israel ein schreckliches und beispielloses Ereignis. Wie viele andere fürchtete auch ich um mein Leben und das meiner Nächsten. Kein Israeli blieb von diesen Ereignissen unberührt.« Gleichzeitig betonte Shani, dass er seine Werte nicht aufgegeben habe: »Die Bilder und Zeugnisse aus Gaza sind zutiefst erschütternd … Alles muss getan werden, um den Krieg so schnell wie möglich zu beenden und den langen Prozess der Heilung und des Wiederaufbaus für beide Gesellschaften zu beginnen.« Und was bleibt am Ende der Debatte? Wohl auch ein bisschen Unordnung, wenn manche die Shani-Absage etwas naiv mit dem Currentzis- (und Gergiev-)Canceling vergleichen, aber auch der beruhigende Beweis breiter Solidarität. Haben wir alle miteinander vielleicht auch etwas zu sehr aufgedreht? Das fragt Thomas Schmidt-Ott in seinem leicht satirischen Kommentar.

Personalien der Woche
Leipzig hat beim internationalen Wettbewerb Music Cities Awards erstmals die Auszeichnung als Best Global Music City erhalten. Zu den weiteren Gewinnern der insgesamt elf Kategorien zählten das Queensland Music Festival (Australien) für die Beste Initiative im Musiktourismus und Jazzy Business Consulting (Japan) für Projekte, die Musik in Immobilienentwicklung und Stadtplanung einbinden. +++ Der langjährige Intendant und Bühnenkünstler Harald Serafin starb im Alter von 93 Jahren, wie seine Familie am Montag mitteilte. Bekannt wurde Serafin als charismatischer Operettensänger und Schauspieler. Danach prägte er zwei Jahrzehnte lang die Seefestspiele Mörbisch, die er von 1992 bis 2012 leitete.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
In Stuttgart wird die Rede von SWR-Intendant Kai Gniffke zur Saisoneröffnung von Buhs begleitet. Dass Daniele Gatti ausgerechnet mit der Oper Falstaff die Saison in Dresden eröffnen will, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Und dass man im Salzburger »Flurfunk« (natürlich noch vollkommen unbestätigt und ohne Gewähr!) hört, dass die geplante Carmen nächsten Sommer nicht nur von Asmik Grigorian gesungen, sondern auch von Teodor Currentzis dirigiert werden soll – das zeigt: Egal, wie sich die Welt da draußen dreht, unsere Klassik-Bubble will sich einfach treu bleiben. Ebenso unbestätigt ist, dass auf den Salzburger Gängen von einer Wiederaufnahme der Mallwitz-Cosí zu hören ist, von einer Manfred Honeck–Ariadne und – immerhin! – dem Dialogues des Carmélites unter Maxime Pascal. Nicht zu glauben? Finde ich auch! Und ich könnte mit vorstellen, dass auch die Wiener Philharmoniker da einige Frage hätten. Weitgehend geräuschlos operiert derweil Salzburgs neue Landeshauptfrau Karoline Edtstadler, die auf der kommenden Kuratoriumssitzung wohl mehr als die Zukunft der Schauspiel-Intendanz debattieren könnte.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann