Morgen präsentiert die Deutsche Oper am Rhein Lohengrin in Taiwan. Das ist mehr als eine Opernaufführung – es ist die Ausweitung des Musikbetriebes im größten Kulturhaus der Welt.
English summary: The Deutsche Oper am Rhein presents Lohengrin in Taiwan’s National Kaohsiung Center for the Arts. It’s more than a guest performance: full cast, crew, sets, and costumes traveled from Germany. Conductor Wen-Pin Chien leads both local and Düsseldorf ensembles. The project blends European opera tradition with Taiwan’s growing cultural scene in four impressive performances.
Lohengrin ist weit gereist. Von Montsalvat im Himmel (oder wenigstens Montserrat bei Barcelona) bis nach Brabant – schon klar. Jetzt aber auch von Düsseldorf nach Taiwan. Möglich ist dieser Weg zu Wasser für einen Schwan und seinen Kahn, aber doch etwas beschwerlich – zumal neben dem Gralsritter auch das Ensemble der Deutschen Oper am Rhein samt Gästen und auch sämtliche Kulissen und Kostüme mitgereist sind. Auch der Technische Direktor Uwe Kocur, Beleuchtungschef Volker Weinhart und Bühneninspektor Dirk Busse sind dabei, damit wirklich alles stimmt für die Premiere. Eine Aufführung des NRW-Lohengrin in den Subtropen also? Genau! Es sind sogar vier Vorstellungen, alle im fast nagelneuen und beeindruckenden National Kaohsiung Center for the Arts im Süden der Insel.
Eine Oper, zwei Besetzungen
Die Idee dahinter kennen wir: Eine europäische Produktion reist in ein Land mit weniger kultureller Infrastruktur wie Werkstätten, Profichor oder auch einem festen Opern-Publikumsstamm und wird dort neu einstudiert, meistens auch mit lokalen Künstlerinnen und Künstlern. In Taiwan gibt es drei Bühnen für Musiktheater, aber weder ein festes Sängerensemble noch ein richtiges Opernorchester. Zugpferd und Leuchtturm ist entsprechend eines der Gebäude – das 2018 eröffnete großartige Opernhaus in Kaohsiung. Es ist Teil des Weiwuying-Komplexes, den die niederländische Architektin Francine Houben gebaut hat für die zweitgrößte Stadt des Landes.
Wen-Pin Chien ist Dirigent dieses Lohengrin, er hat diese Produktion von Sabine Hartmannshenn schon als Kapellmeister in Düsseldorf musikalisch geleitet. Vor allem aber ist er kreativer Kopf, Netzwerker und unermüdlicher Aufbauarbeiter für Musiktheater und das komplette Angebot des Kulturkomplexes, der nicht weniger 6.000 Sitze in vier Sälen mit unterschiedlicher Bestimmung plus Open-Air-Amphitheater beherbergt. In jedem Jahr präsentiert er seinem Publikum eine konzertante oder halbszenische Oper und danach eine volle szenische Produktion – jetzt im September also den besagten Lohengrin.

Die vier Vorstellungen (die Premiere ist morgen) werden abwechselnd die Düsseldorfer Besetzung und jene aus Taiwan singen. Eine Menge an Einstudierungsarbeit für den Dirigenten, der für den Erfolg nicht nur fünf Wochen Proben angesetzt hat, sondern auch die Regisseurin persönlich eingeflogen hat – und zusätzlich Julia Langeder, die lange Zeit Regieassistentin am Rhein war und längst selbst inszeniert.
Größtes Kulturzentrum der Welt
Beide Damen sind vollauf beschäftigt. Denn für die Sängerinnen und Sänger aus Taiwan (den sogenannten »B-Cast«) ist diese Wagner-Oper eine große Herausforderung: Im Land gibt es keine Möglichkeit, die Stimme über einen dauerhaften Musiktheater-Betrieb wachsen zu lassen, über Mozart und Strauss zu Wagner etwa; es geht also sofort »in die Vollen«, mit allen Problemen, die das mit sich bringt. Auch das Evergreen Symphony Orchestra, Konzernorchester des gleichnamigen Logistik-Riesen und mutmaßliche bestes Ensemble im Land, muss sich die Opern-Flexibilität erarbeiten.

Der Taipei Philharmonic Chorus ist ein Laienchor – arbeitet aber mit bewundernswert guter Vorbereitung, großer Präzision und mit grenzenlosem Enthusiasmus. Natürlich wäre eine Zauberflöte oder ein Liebestrank einfacher zu realisieren. Aber Wen-Pin Chien will seinem Publikum wie auch den heimischen Profis und Nachwuchstalenten große Oper ermöglichen: Nur wer groß denkt, kann Großes erreichen – »I dream big« steht als sein Motto auf der Webseite des Kulturministeriums.
Der Schwan mit Mission
Für ein deutsches Haus wie die Deutsche Oper am Rhein ist Chiens Initiative mehrfach attraktiv: Eine internationale Vernetzung bedeutet automatisch auch internationale Sichtbarkeit, Bühnenbild und Kostüme bekommen nach einer erfolgreichen Laufzeit am eigenen Haus ein zweites Leben – und der Taiwan-Aufenthalt bedeutet für das eigene Ensemble auch: umwerfende Gastfreundschaft, tour-untypisch langer Aufenthalt am selben Ort, eine fantastische Küche mit chinesischen und japanischen Einflüssen und eine großartige Natur ganz in der Nähe Metropolen Taipei (wo die meisten Proben stattgefunden haben) und Kaohsiung (wo gespielt wird). Beide Städte liegen am Meer und bieten eine hohe Lebensqualität – Lohengrins Schwan würde es gefallen. Toitoitoi!
Transparenzhinweis: Stefan Knies ist auf Einladung des Weiwuying Center in Taiwan.