Was geht ab auf deutschen Bühnen? 

August 31, 2025
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Tobias Kratzer wird seinen »Ring« 2026 mit der »Walküre« in München fortsetzen (Foto: Hösl)

Ein Ausblick auf die kommende Saison an deutschen Theatern: Neues, Spannendes und Kurioses – höchst persönlich gesichtet von Guido Krawinkel.

English summary: A preview of Germany’s upcoming theater season reveals a rich mix of classics, premieres, rediscoveries, and bold productions—from Weber’s Freischütz in Bonn to rare gems like Violanta in Berlin. Regional theaters prove especially innovative, offering much to discover nationwide.

Die alte Spielzeit ist abgefrühstückt, die neue steht in den Startlöchern. Man könnte sich in Wehmut üben und den Highlights der Saison nachtrauern, der Ulmer Uraufführung der Oper Le petit pauvre d’Assise von Charles Tournemire etwa, einer veritablen musikhistorischen Sensation, oder der Groteske Musik für die Lebenden von Gija Kantcheli in Bonn. Das zutiefst erschütternde Antikriegswerk zeigt, wie relevant und – in diesem Fall leider auch – hochaktuell heutiges Musiktheater sein kann, selbst auf den letzten Metern der Spielzeit. 

Innovationskraft an Stadttheatern

Aber auch die Nächste Saison dürfte spannend werden, obwohl Mozart, Verdi und Puccini als Dauerbrenner bleiben. Es gibt aber auch Uraufführungen, Wiederentdeckungen, jede Menge Repertoire und neue Inszenierungen. An der Oper Bonn inszeniert Volker Lösch die wohl deutscheste aller deutschen Opern: den Freischütz. Nachdem er dort schon Beethovens Fidelio im Jubiläumsjahr als tendenziösen Agitprop aus der Klamottenkiste für eine politische Agenda vereinnahmt hat, darf man gespannt sein, wie Lösch Carl Maria von Weber gegen den Strich bürsten wird. In Bonn wird im Übrigen auch die hochgelobte Reihe Fokus ’33 mit Die Ameise von Peter Ronnefeld fortgesetzt. 

Ob es ein Aufreger wird, bleibt abzuwarten, aufregend könnte es aber durchaus werden, denn für die Inszenierung von Gaetano Donizettis Oper L’Elisir d’Amore hat das Landestheater Coburg einen Wettbewerb ausgelobt. Man möchte jungen Regietalenten eine Chance geben, eigene Inszenierungsideen in die Praxis umzusetzen! »Ziel des Wettbewerbs ist es, herausragende kreative Leistungen auszuzeichnen und Nachwuchsregisseur*innen sowie Bühnenbildner*innen, die sich noch nicht etabliert haben, eine professionelle Bühne für ihre Arbeitserfahrung zu bieten«, so das Theater. Die Einsendefrist läuft noch bis zum 31. Juli……! 

Auch am Theater Magdeburg wagt man was: Mit Alfred Schnittkes Oper Leben mit einem Idioten und Arnold Schönbergs Melodram Pierrot lunaire, hat man zwei wirklich spannende Stücke ins Programm genommen. Die leichte Muse und das Repertoire kommen gleichwohl nicht zu kurz. Und auch in Wuppertal setzt man mit der um eine Spielzeit verschobenen Oper The Lodger von Phyllis Tate und Christoph Ritters Kinderoper Tuffi über den berühmten Elefanten, der einst aus der Schwebebahn in die Wupper sprang, auf eine vielfältige Mischung mit Moderne und Lokalkolorit.

Skurril, wenngleich auch einigermaßen absurd, ist die Geschichte von Peter Eötvös‘ Oper Der goldene Drache: Chinese verliert Zahn, Zahn landet in der Suppe, Chinese im Fluss. Ende. Tatsächlich ist dramaturgisch schon ein bisserl mehr Fleisch dran, aber spannend wird die Story am Theater Hagen auch deshalb, weil das Publikum in diesem Fall mittendrin sitzt: auf der Bühne, ein Format das auch andere Häuser anbieten, wie etwa Krefeld/Mönchengladbach, wo man hierfür Herzog Blaubarts Burg von Béla Bartók mit Ärger in Tahiti von Leonard Bernstein verkuppelt. Der Rahmen ist intim, man ist hautnah dabei. Die Stücke sind anspruchsvoll, für Publikum wie Theater, aber gerade solche Produktionen sind ein immer wieder schlagender Beweis für den Einfallsreichtum und das Niveau Deutscher Stadttheater, gerade auch in Gegenden, in denen das kein Selbstläufer ist! Da sind gerade solche Häuser wie Hagen oder Krefeld/Mönchengladbach nicht selten innovativer als manch großer Kulturtanker.

Die Raritäten

An der Berliner Staatsoper hat Christian Thielemann gerade Strauss‘ Die schweigsame Frau dirigiert – sein Kernrepertoire. Das ist wenig überraschend. Auch eine Uraufführung gibt es mit Matthias Pintschers Das kalte Herz. Bei den übrigen Aufführungen mutet der Blick auf Komponisten wie Ausführende als Who’s Who der Opernszene an – Hauptstadtkultur. Das könnte man auch von der Bayrischen Staatsoper in München sagen, hier wird sicherlich Tobias Kratzers Fortsetzung des Ringes mit der Walküre für Aufsehen sorgen. An der Deutschen Oper Berlin wird Violanta von Erich Wolfgang Korngold aufgeführt, eine echte Rarität! Davon gibt einige in der nächsten Spielzeit, ob nun Mazeppa von Clémence de Grandval an der Oper Dortmund, Kain und Abel von Felix Weingartner am Staatstheater Darmstadt, 1914 ebendort uraufgeführt und seitdem vergessen, Die Fritjof Saga von Elfrida Andrée in der Oper Essen, Das Spielwerk und die Prinzessin von Franz Schreker in Halle oder Alma des brasilianischen Komponisten Claudio Santoro am Anhaltischen Theater in Dessau, oder, oder, oder….. Es gibt jede Menge zu entdecken!

Es gibt sogar so viel zu entdecken, dass nur ein Bruchteil dessen, was von Interesse ist, in diesen stichprobenartigen Überblick passt. Deshalb die dringende Empfehlung: eine Beschäftigung mit den Spielplänen der lokalen Theater lohnt immer, es ist eigentlich für jeden etwas dabei. Die deutsche Opernlandschaft ist durchaus nicht so langweilig oder gar konservativ wie man gemeinhin denken könnte. Auch Ur- wie Erstaufführungen stehen in den meisten Häusern auf dem Spielplan, Hingucken lohnt sich! Das Gros der Premieren macht aber in der Tat der altbekannte Kanon aus: Wagner, Verismo, ein bisschen Mozart und auch Barockes ist regelmäßig vertreten ebenso wie das unglaublich boomende Genre der Kinder- und Familienopern. Nur Haydn sucht man auf deutschen Spielplänen der kommenden Saison vergebens. Muss da etwa wieder Haydn-Spezialist Andreas Spering ran, der dessen Opern oft konzertant bei seinem Haydn-Festival in Brühl gemacht hat? Aber selbst da gibt es in diesem Jahr keine Haydn-Oper. 

Was rückt ins Repertoire?

Dafür macht Universalkünstler Markus Lüpertz La Bohème von Giacomo Puccini in Eisenach, und es gibt erfreuliche Wiederbegegnungen mit einigen hochinteressanten Opern neueren Datums, die sich (zu recht!) zu echten Repertoirestücken zu mausern scheinen, etwa Brokeback Mountain von Charles Wuorinen in Erfurt, Innocence von Kaija Saariaho in Braunschweig oder Dead Man Walking von Jake Heggie am Pfalztheater Kaiserslautern. Und dann noch das Lortzing-Doppelpack zum 175. Todestag des Komponisten an der Oper Leipzig: Neben seiner letzten Oper Regina gibt es noch die Komödie Der Waffenschmied

Und wem das jetzt alles Wurst ist, der findet am Niedersächsischen Staatstheater Hannover mit der gleichnamigen Küchenoper von Sebastian Schwab das richtige Stück. In diesem Sinne: Guten Appetit!

Guido Krawinkel

Geboren 1970, Studium der Musikwissenschaften, Französisch, Kommunikations­forschung und Philosophie in Bonn. Parallel erfolgten Praktika und Fortbildungen im journalistischen und kulturpolitischen Bereich, sowie die Ausbildung zum nebenberuflichen Kirchenmusiker (C-Examen). Nach Tätigkeiten in der Tonträgerbranche, im Verlagswesen und beim Rundfunk arbeite ich heute als freier Musikjournalist unter anderem für Nachrichtenagenturen (KNA), Zeitungen (General-Anzeiger Bonn, NMZ), Internetportale (Klassik Heute), Fachzeitschriften (organ, chorzeit, Oper & Tanz, Crescendo) und schreibe Programmhefttexte, u.a. für die Elbphilharmonie, die Bremer Philharmoniker oder die Philharmonie Thüringen Gotha und eine PR-Agentur.

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