Wer Briefe schreibt, muss auch Briefe empfangen! Nach einer Abrechnung mit Opern-Mäzen Klaus-Michael Kühne antwortet nun Thomas Schmidt-Ott für ihn.

Nachdem Axel Brüggemann einen Brief an Klaus-Michael Kühne geschrieben hat, fühlte sich BackstageClassical-Kolumnist Thomas Schmidt-Ott herausgefordert. Er erwachte – ganz kafkaesk – »aus unruhigen Träumen« und fand sich in seinem Bett als eben dieser Unternehmer wieder. Und dann verfasste er für Kühne eine Antwort:
Lieber Axel Brüggemann,
Franz Josef Wagner war jener Mann, der Frauen vorzugsweise auf ihr Aussehen reduzierte und sie gönnerhaft »Mädchen« nannte, selbst dann, wenn sie längst die Welt bewegten, während er nur Kolumnen füllte. Einer, der sich nicht scheute, rassistische Klischees aus den Tiefen der Stammtischparolen zu kramen und als geistreich zu verkaufen. Ein Meister darin, seine Meinung zu wechseln wie andere, hoffentlich, ihre Socken, und gleichzeitig Fan bizarrer Vorstellungen von Schuld, Strafe und »Volksseele«.
Er war der Kolumnist, der einem in der Türkei inhaftierten 17-Jährigen seine groteske Auffassung von Frauen mitgab: »Wenn sie ja sagen, meinen sie nein. Und wenn sie nein sagen, meinen sie ja.« Ein Satz wie aus finsteren Zeiten, niedergeschrieben mit einer Selbstgewissheit, die nur besitzt, wer sich niemals hinterfragt. Und er war derjenige, der seinem Verlag empfindliche Schmerzensgeldzahlungen bescherte, weil Fakten für ihn offenbar optional waren. Fakten konnte er ohnehin schlecht leiden – er verdrehte sie, verwechselte sie oder ignorierte sie ganz. Ein Kolumnist, der lieber dramatisierte als recherchierte, lieber empörte als verstand (Quelle u. a. BILDblog, Lukas Heinser).
Ausgerechnet diesen Mann nehmen Sie zum Vorbild Ihrer »Briefe von Brüggi«? Erlauben Sie mir, dem 87-jährigen, meinen väterlich leicht-übergriffigen Rat, junger Mann: ständige Empörung macht einsam. – Aber nun zum eigentlichen Anlass meines Schreibens: Vielen Dank für Ihre wortgewaltige Opernkritik in – darf ich das so sagen? – eigener moralischer Sache. Es ehrt mich, wenn Kulturjournalisten mein Handeln als musik- oder rezensionsdramatische Vorlage nutzen, ganz und gar ohne Bühnenbild und dazu noch vor der Premiere. In dieser Hinsicht sind Sie mir ein paar Takte voraus.
Wir haben Verantwortung übernommen
Was die Vergangenheit betrifft, hingegen nicht. Im Gegenteil: Die historischen Sachverhalte sind aufgearbeitet und benannt worden. Das Handelsblatt Research Institute hat die verfügbaren Materialien zu unserer belasteten Unternehmensgeschichte geprüft. Wir haben Verantwortung übernommen, uns klar zu den Geschehnissen bekannt und um Entschuldigung gebeten. Ich war zum Ende des Krieges ein Kind. Für Schuld war ich zu jung – für Bewusstsein jedoch alt genug.
Dieses Kapitel unserer Geschichte ist aus meiner Sicht abgeschlossen, wie ich auch im SPIEGEL erklärte: »Wir können es nicht ungeschehen machen.« Weitere Unterlagen aus der NS-Zeit existieren nicht mehr; unsere Firmenarchive in Hamburg und Bremen wurden durch Bombenangriffe zerstört. Auch dies habe ich öffentlich dargestellt, zuletzt 2022. Es ist legitim und wichtig, dass Forschung und kritisches Nachfragen fortbestehen. Aufarbeitung lebt vom offenen Umgang mit Geschichte. Gleichzeitig stelle ich mir in aller Demut die Frage: Wo beginnt verantwortungsvolle Forschung – und wo findet sie ihren natürlichen Abschluss, wenn alle zugänglichen Fakten reflektiert sind?
Nun halten Sie mir vor, ich stifte Opernsessel, obwohl meine Firma einst Stühle und Möbel raubte. Mit anderen Worten: Die Stiftung eines Opernhauses heute sei moralisch kontaminiert, weil die familiäre oder Firmen-Vergangenheit belastet ist. Das ist ein starkes Bild, gewiss – aber ist es auch ein gerechtes? Muss die historische Schuld, zu der wir uns bekennen, zwingend in einen kausalen Zusammenhang mit unserem Handeln heute gestellt werden? Wird eine Gabe erst dann »rein«, wenn sie einer makellosen Familienlinie entstammt? Wer definiert die Kriterien? Redaktionen? Die Stimmen der Feuilletons? Oder die moralischen Memoranden eines wie auch immer ernannten Wächterkreises?
Ein Angebot an Hamburg
Nein. Moralische Buchführung über Generationen hinweg zu führen, mag ein publizistischer Reflex sein. Ihn hinsichtlich seiner Gerechtigkeit bzw. Richtigkeit zu hinterfragen, muss erlaubt sein. Und: Wer Verantwortung übernimmt, wer sich der Vergangenheit stellt und daraus Konsequenzen zieht, der verliert nicht die Berechtigung, für die Zukunft Gutes zu tun.
»Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten«, sagte einst August Bebel. Dem schließe ich mich an. Von daher, lieber Brüggi (wenn Sie erlauben), gilt für mich gilt: Vergangenes aufarbeiten – ja. Sich von ihm fesseln lassen – nein. Verantwortung bedeutet eben nicht Stillstand, sondern Reflektieren und Handeln. Ich sehe Hamburgs neues Opernhaus dabei keinesfalls als Denkmal für meine Person, sondern als ein Angebot an die Stadt: Ein Raum für Kunst, für Erinnerung, für Debatte – und vielleicht auch für Versöhnung durch Mahnung und Musik.
Und wenn dann der HSV sicher weiter aufsteigt – wer weiß, vielleicht freuen Sie sich ja dann mit.
Herzlichst,
Ihr fiktiver Klaus-Michael Kühne
P.S. Übrigens: dass mein Unternehmen einst von Deutschland in die Schweiz wechselte, das war ein unternehmerisch zwingender Schritt. Er hatte mit der Steuergesetzgebung und Bürokratismen hierzulande zu tun, die Sie, vermute ich, an anderer Stelle nicht unbedingt hymnisch preisen. Aber das ist wohl ein Thema für einen anderen Brüggi-Brief.

