Dmitri Tcherniakov verlegt Händels Giulio Cesare in Egitto bei den Salzburger Festspielen in den Kosmos kaputter Seelen.
English summary: At the Salzburg Festival, Dmitri Tcherniakov sets Handel’s Giulio Cesare in a war bunker, turning it into a psychological battlefield of love, jealousy, and despair. Though professionally staged and powerfully sung, the production feels emotionally monochrome. Tcherniakov’s solid but uniform style lacks Handel’s full color spectrum, making this operatic “Psycho-Bunker” striking but ultimately too gray.
Grau ist es. Wahnsinnig grau. Es herrscht Krieg. Oben detonieren Bomben, unten, im Bunker, verwandeln sich die Menschen zu Tieren: Liebe, Eifersucht, Hass und Sehnsucht konzentrieren sich im klaustrophobischen Ambiente auf ihre unschönen Extrakte und verwandeln sich zu Mord, Vergewaltigung, Totschlag und Verzweiflung.
Die Salzburger Festspiel-Inszenierung von Georg Friedrich Händels Oper Giulio Cesare in Egitto ist modern, professionell gearbeitet – bleibt am Ende aber ein wenig grau. Mit dem russischen Regisseur Dmitri Tcherniakov verhält es sich wie mit Peek & Cloppenburg: Er liefert solide Oper von der Stange. Alles ist irgendwie ähnlich, alles ist irgendwie gut – aber die Massenproduktion lässt kaum noch Außergewöhnliches zu.

Man kann den Salzburger Festspielen seit einiger Zeit vorwerfen, dass vom großen Aufbruch der Ära Markus Hinterhäuser nicht mehr viel übrig geblieben ist, dass die Kreativität verloren gegangen ist, dass die immer gleichen Leute die immer gleichen Sachen machen, dass die Festspiele selber zu einer Art grauem Kultur-Bunker geworden sind, und dass die ganz großen Gefühle hier ein bisschen außer Balance geraten sind.
Alle Stufen von Grau
Nachdem die Alarmsirenen während der ersten Opernpremiere der Festspielsaison im Haus für Mozart schrillen und dem Publikum per knallroter Buchstaben-Einblendung erklärt wird, dass es nicht mehr möglich sei, den Opern-Bunker zu verlassen, dauert es nicht lange, bis man aufhört, sich zu fragen, warum Cesare und seine Feinde ausgerechnet im gleichen Schutzraum Unterschlupf suchen, und wer hier eigentlich gegen wen kämpft. Schell stellt man fest: Hier geht es eher um ein Psycho-Pasticcio, um einzelne Seelenzustände, um die Zuspitzung menschlicher Gefühle unter Ausschluss der echten Welt. Dieser Abend ist eine Aneinanderreihung von Ausnahmezuständen. Und das macht für die Barockoper durchaus Sinn, exaltiertes Sehnen, lustvolle Rache, jubilierende Siege.
All das wird der wahren musikalischen Vielfalt Händels allerdings nicht immer gerecht. Dem einbetonierten Wahn kommen viele emotionale Facetten abhanden: Händels schrille Farben, die blühenden Blumen, der subversive Witz.

Und so könnte man Tcherniakovs Salzburger Cesare als Gegenentwurf zu Matthias Davids Bayreuther Meistersingern verstehen. Während Davids bewusst unpolitisch sein wollte, verzichtet er ebenso auf die abgründigen Ebenen der Musik wie Tcherniakov, der explizit politisch sein will. Und noch eine Ähnlichkeit drängt sich auf. Beide Opern halten dem Vergleich mit dem unsichtbaren Elefanten im Raum nicht stand. Davids verliert in Bayreuth den Vergleich mit Barrie Koskys klugen (und durchaus lustigen) Meistersingern, und Tcherniakov zieht den Kürzeren gegen Koskys ausgelassenen Salzburger Vivaldi-Eklektizismus in Hotel Metamorphosis, der tatsächlich ein Pasticcio im besten Sinne ist.
Charakterstimmen
Dabei wäre durchaus mehr drin‘ gewesen, denn auf der Salzburger Bühne stehen wirkliche Stimm- (und Spiel-)-Charaktere. Christophe Dumaux ist ein sehr beweglicher, scharf angespitzter, aber auch lyrisch schmelzender Cesare, mit dem sich das wunderschön strömende und weiche Timbre von Olga Kulchynskas Cleopatra-Sopran wunderbar ergänzt. Federico Fiorio ist als schlacksiger Sesto nicht nur ein einziger vokaler Gefühlsausbruch, sondern auch in seiner physischen Wahnsinns-Präsenz. Etwas überdimensioniert an diesem Abend die Alt-Stimme von »Übermutter« Lucile Richardot als Cornelia. Yuriy Mynenko gibt den Tolomeo als eine Art James-Bond-Bösewicht mit klugen Changieren zwischen Brust- und Kopftönen.
Emmanuelle Haïm lässt an diesem Abend erahnen, dass noch so viel mehr Farben in Händels Musik gelauert hätten als all die Nuancen von Grau, die auf der Bühne ausgestellt wurden. Aber auch ihr Ensemble Le Concert d‘Astrée scheint zuweilen ein wenig auf die Exaltations-Bremse gedrückt zu haben, zieht den Strom der Musik der Ausstellung ihrer Extreme vor.
Der Salzburger Giulio Cesare ist gute Stangenware – für Festspiele vielleicht ein Hauch zu wenig.
Korrektur: In einer vorherigen Version hieß es, dass Kosky One Morning Turns into an Eternity Inszeniert habe, es handelt sich aber um Hotel Metamorphosis.

